Spätestens das Jahr 2020 hat das Potential digitalen Lehrens und Lernens verdeutlicht – und Entwicklungsperspektiven für Bildung, Schule und Unterricht im Leitmedienwechsel vom Buch zum Computer aufgezeigt. Klar ist: Schulen werden mittelfristig vor einem grundlegenden Wandel des Lehrens und Lernens hin zu konsistentem Blended Learning stehen, der durch die inzwischen alle Lebensbereiche durchdringende Kultur der Digitalität geprägt sein wird.

Ein spannendes Thema. Daher sagte ich auch gerne einen Impulsvortrag „Feedback in einer Kultur der Digitalität“ für das Kollegium der Heinrich-Heine-Realschule in Hagen zu. Denn mit der Diskussion um zeitgemäße Prüfungsformate rückt auch die Frage nach Formen, Funktion und Bedeutung von Feedback in zunehmend digital strukturierten Lehr-Lernprozessen in den Vordergrund (vgl. hierzu auch den kürzlich erschienenen Blogbeitrag von Nele Hirsch).

Vielleicht bedarf es – gerade für weniger erfahrene LeserInnen – zunächst einer begrifflichen Klärung, um im wahrsten Sinne des Wortes unmissverständlich über „Feedback in einer Kultur der Digitalität“ sprechen zu können. Zumindest die Begriffe Feedback und Digitalität möchte ich im Sinne einer Einordnung der in diesem Beitrag verwendeten Begrifflichkeiten kurz präzisieren.

Kurze Einordnung: Digitalität

Von „Digitalisierung“ schon genervt – von „Digitalität“ noch nichts gehört?

Während sich die einen noch mit den Hürden der Digitalisierung abmühen und ihre ersten Erfahrungen mit digitalen Medien in der Schule sammeln, sehen andere uns schon in einer ‚Kultur der Digitalität‘ leben und arbeiten, in der das Digitale zur Selbstverständlichkeit geworden ist und sich analoge und digitale Realitäten zunehmend verschränken (vgl. Wikipedia bzw. Felix Stalder „Kultur der Digitalität“). Dem lässt sich angesichts des umfassenden digitalen Wandels in allen Lebensbereichen eigentlich nur zustimmen.

Fakt ist aber auch: Gerade Lehrpersonen erleben – zumindest was die Schule betrifft – die Widersprüche dieser irgendwo zwischen Wunschdenken und (gesellschaftlicher) Realität einzuordnenden Begrifflichkeit(en) und Positionen zur eigenen Situation besonders deutlich – denn sie entsprechen allzu häufig nicht der erlebten Schulrealität. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Einerseits Schülerinnen und Schüler, die Digitaltechnik ganz selbstverständlich für das Erfassen und Speichern von Daten (Fotos, Musik, Videos, …) und Kommunizieren (Social Media, …) nutzen, Lehrerinnen und Lehrer, die neue Unterrichtskonzepte für digitale Lernumgebungen entwickeln – andererseits: viele Lehrpersonen, denen die durchgehende Nutzung digitaler Medien nach wie vor entweder unmöglich ist, unvorstellbar oder sogar bedrohlich erscheint. Die gesellschaftlich angetriebene digitale Transformation gestaltet sich in den Schulen häufig schwierig. Verwunderlich, ist der digitale Wandel doch seit Jahren omnipräsent, prägt das Leben und Arbeiten und wird zunehmend zur essentiellen Voraussetzung für die Teilhabe in Ausbildung und Arbeitsleben. Zugleich verständlich, nimmt man Reaktionsweisen auf disruptiven Wandel näher in den Blick. Dennoch gilt, was Prof. Beat D. Honegger von der PH Schwyz auf den Punkt bringt:

Es gilt zu akzeptieren, dass wir über gewisse Gegebenheiten nicht mehr diskutieren sollten: Eine Lehrperson, der basalste Kenntnisse des Umgangs mit digitalen Werkzeugen fehlen („Wie erstellt man einen Ordner?“, „Wie mache ich ein Fenster grösser?“) ist nicht mehr in der Lage, Schülerinnen und Schüler auf die Welt von heute und morgen vorzubereiten! (Dabei geht es nicht nur um das fehlende Handling von Alltagswerkzeugen, sondern auch um das damit einhergehende Vermögen sich vorzustellen, was mit diesen Werkzeugen alles möglich ist und täglich gemacht wird).

Prof. Beat D. Honegger

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – wenige Phänomene sind so deutlich davon geprägt, wie aktuell der Prozess der ‚Digitalisierung‘ und die ‚Kultur der Digitalität‘, in der wir bereits leben.

Honegger betont in diesem Kontext den kontinuierlichen Wandel, in dem wir uns befinden und der einen „Endzustand der Digitalität“ eher in weiterer Ferne erscheinen lässt. Der „große Wandel“ besteht demnach aus „vielen kleinen Wandeln“, die alle Beteiligten erlebt haben oder erleben und erfolgreich oder weniger erfolgreich meistern. Hilfreich für das Verständnis ist vielleicht die folgende Grafik, in der Honegger die Zusammenhänge der Digitalisierung als (technischer) Prozess und einer Kultur der Digitalität als (lebensweltlicher) Zustand prägnant zusammenfasst.

Kultur der Digitalität Honegger
Digitalisierung und Digitalität – viele kleine Wandel formen den großen Wandel (Beat D. Honegger 2020)

Deutlich werden aber schon hier die Implikationen für Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung, die mit dem digitalen Wandel einhergehen. Denn im Zuge des Leitmedienwechsels vom Buch zum Computer entwickeln sich auch Kernelemente von Schule weiter: Unterricht, Lehrerrolle, Lernräume, Lernmaterialien, Prüfungsformate – vieles Altbekannte steht auf dem Prüfstand und wird sich in den nächsten Jahren deutlich verändern. Dies betrifft auch Formen und Funktion von Feedback für das Lehren und Lernen.

Kurze Einordnung: Feedback

„Es braucht zwei, damit einer sich kennenlernt.“

Gregory Bateson

Der Feedback-Begriff hat eine inzwischen länger dauernde Entwicklung durchlaufen. Im Methodenpool der Universität Köln oder auch im Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik von Stangl werden die Zusammenhänge anschaulich dargestellt – das würde den Rahmen dieses Blogbeitrags übersteigen. Wichtig ist aber der Hinweis, dass der Feedback-Begriff heute meist deutlich weiter ausgelegt wird als in seiner originären Bedeutung angelegt, und in der (Schul-)Praxis letztlich jede Form von Rückmeldung beschreibt. Natürlich geht es im Kern nach wie vor um „…verhaltensnahe und konkrete Rückmeldung der Stärken und Schwächen einer Person…“, damit „…der Empfänger des Feedbacks die Konsequenzen seines Verhaltens besser einschätzen und verändern [kann]“ (Stangl 2020).

Aber auch Tools wie Quizlet, Kahoot oder LearningSnacks und Learnings Apps geben direkt Feedback, ob eine Antwort richtig oder falsch war – passend erscheint hier zur Differenzierung der Begriff Automatic Feedback (daher auch nur für reine Lernaufgaben geeignet). Nicht gleichzusetzen mit klassischen Feedback-Formaten sind Tools wie Mentimeter oder Wooclap. Sie können als Medium für Feedback genutzt werden, sind aber zunächst einfache Audience-Response- oder auch Direct-Response-Systeme, die unmittelbare Antworten auf (beliebige) Fragen ermöglichen.

Und während in der Schule üblicherweise summative Feedback-Formate (Klausur, Klassenarbeit, Test, Abfrage etc.) zur isolierten Wissensabfrage im Vordergrund stehen, rücken gerade in Online-Szenarien formative Feedback-Formate zunehmend in den Fokus. Denn während Wissen und feste Strukturen wichtig bleiben, gewinnen in einer Kultur der Digitalität offene Lern- und Arbeitsformen und gerade die Zusammenarbeit an Bedeutung (s. auch 4K-Modell zur Unterrichtsentwicklung) – und damit auch Feedback zum Lern- und Arbeitsweg, zum Bewältigen von Herausforderungen und zur Herangehensweise an Problemstellungen. Feedback wird in diesen Szenarien häufig zu einem Ko-Konstruktionsprozess von Lehrperson und Schülerinnen und Schülern und im besten, aber keineswegs selbstverständlichen Fall auch in der Peer-Group (Peer-Feedback).

„Lehrer/innen, die sich als Lernende ihrer eigenen Wirkungen verstehen, sind hinsichtlich der Lernprozesse und Lernerfolge von Schüler/innen die einflussreichsten.“

John Hattie

In diesem Kontext wird die ausgewogene Mischung unterschiedlicher Feedback-Formen zur zentralen Entwicklungsperspektive für Schule und Unterricht. Die Verschiebung bzw. Erweiterung der Perspektive in zunehmend digitalen Lehr-Lernszenarien möchte ich in der folgenden Grafik exemplarisch aufzeigen. Die zur besseren Visualisierung gewählte klare Trennung der Formate in summatives und formatives Feedback ist weder als trennscharf zu verstehen noch hat sie Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll als Impuls für weitere Überlegungen verstanden werden.

Feedback digital - Feedback in einer Kultur der Digitalität
Schwerpunkte von Feedback und entsprechende Feedback-Formate (nicht trennscharf zu verstehen) – klassisch und in einer Kultur der Digitalität (Hauke Pölert 2020)

Feedback in einer Kultur der Digitalität

Einer der wesentlichen Lerneffekte aus den Schulschließungen des Frühjahrs 2020 war, dass die Überführung klassischer Pädagogik in digitale Lernszenarien zu völliger Überlastung und Überforderung aller Seiten führt. Der einseitige Fokus auf summatives Feedback, das fast schon krampfhafte Festhalten an Abschlussprüfungen und Leistungskontrollen – egal unter welchen Umständen erbracht – zeigen wie in einem Brennglas die Problematik jahrelang verpasster kontinuierlicher Unterrichtsentwicklung entlang der digitalen Selbstverständlichkeiten. Dabei kommt es gar nicht auf die Frage „analog oder digital“ an. Vielmehr sollte der Fokus auf der sinnvollen Kombination aller (analogen und digitalen) Möglichkeiten in einer schülerorientierten didaktischen Planung liegen – mit deren Hilfe Lehrpersonen deutlich flexibler auf veränderte Unterrichtsszenarien reagieren können, wenn orts- und zeitunabhängiges Lernen erst einmal möglich und etabliert sind.

Unterricht Digital (Hauke Pölert)
Didaktische Planung unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Medien (Hauke Pölert 2020)

Dabei bieten gerade Blended-Learning-Szenarien die Chance für kontinuierliches Feedback durch Freiräume, die sich in einem weniger frontal ausgerichteten Unterricht ergeben. Aus dem Problem kann sich eine Chance für die eigene Unterrichtsentwicklung ergeben.

      • Zwei konkrete Methoden, die gezielt Freiräume für Lernbegleitung und Feedback schaffen, habe ich in der Blogreihe zu Blended Learning bereits vorgestellt: Die LPS-Methode (nach Dr. Catlin Tucker) ermöglicht individuelle Lernpfade und fokussiert den Lern- und Arbeitsprozess, begleitet durch formatives Feedback.

Überträgt man die didaktische Planung in eine mögliche Feedback-Planung, so könnte sich daraus die folgende Übersicht als erstes Brainstorming ergeben:

Feedback Digital (Hauke Pölert)
Feedback – Funktion und Formate in einer Kultur der Digitalität (Hauke Pölert 2020)

Viele der hier vorgestellten (formativen) Feedback-Formate sind natürlich nicht auf digitale Medien beschränkt. Die Erfahrung zeigt aber, dass ihre Integration in digitalen Lernumgebungen deutlich vereinfacht und damit leichter zur Selbstverständlichkeit wird. Denn formatives (Lehrer-)Feedback, aber auch Peer-Feedback und Schüler-Feedback zum Lehrerhandeln lassen sich durch digitale Tools niedrigschwellig und nahtlos in den Unterricht einbinden und in Lernprozesse einplanen. Damit gewinnt gerade auch das Schülerfeedback zum Unterricht und zur Lehrperson an Bedeutung. Ein wichtiger Faktor für echte Unterrichtsentwicklung.

„Ein guter Lehrer muss seinen Unterricht durch die Augen der Lernenden sehen.“

John Hattie

Erst aus kontinuierlichem Feedback kann sich eine echte Feedback-Kultur entwickeln, in der Feedback sowohl für Schüler- als auch Lehrerhandeln eine zentrale Rolle einnimmt. Gliedere ich das noch etwas unübersichtliche erste Brainstorming aus der letzten Grafik, ergeben sich daraus fünf zentrale Bereiche für Feedback in einer Kultur der Digitalität.

Diese berücksichtigen alle Funktionen von Feedback:

    • (im weitesten Sinne) Lösungsvorschläge bewerten,
    • (im engeren Sinne) Verhalten steuern,
    • helfen, zielgerichteter zu arbeiten,
    • ermutigen,
    • bei der Fehlersuche und
    • bei der Selbsteinschätzung helfen.
Feedback im Blended Learning (Hauke Pölert 2020)
Feedback-Formen im Blended Learning (Hauke Pölert 2020)

Tools für digitales Feedback

Die Potentiale für eine neue Lernkultur sind enorm, wenn Lehrende und Lernende Selbstevaluation als wechselseitiges Feedback begreifen, bei dem es im Kern um die Frage geht, wie das Lernen (der Schüler/innen) und die Lernarrangements (der Lehrperson) verbessert werden können.

Gerold Brägger / IQES

In einer interaktiven ThingLink-Grafik habe ich unterschiedliche Tools für die unterschiedlichen Feedback-Formate übersichtlich zusammengestellt: Zu jedem Tool lassen sich durch Klicken auf den entsprechenden Button Blog- oder Youtube-Tutorials öffnen, in denen ich die Anwendungen und ihre Funktionen erkläre und meist anhand von Beispielen aus der eigenen Schulpraxis erläutere.

        • Zum Öffnen der ThingLink-Grafik einfach auf die untenstehende Abbildung oder direkt hier klicken

Damit sollte ein guter Einstieg auf unterschiedlichen Ebenen möglich sein mit den möglichen Zielen,

    • den Unterricht adaptiver zu gestalten,
    • den Schülerinnen und Schülern lehrpersonunabhängiges Feedback durch direkte, automatische Rückmeldungen zu ermöglichen,
    • das Peer-Feedback im Unterricht bspw. mit kollaborativen Tools zu stärken,
    • durch den gezielten Einsatz von Selbstreflexionsbögen die Fähigkeit zum Erkennen eigener Stärken und Schwächen zu fördern und
    • neue Formen des Lehrerfeedbacks – und das meint sowohl (formatives und summatives) Feedback der Lehrperson an Schülerinnen und Schüler als auch von Schülerinnen und Schülern artikuliertes Feedback zum Unterricht – kontinuierlich in den Lernprozess zu integrieren.
Feedback - Tools für Feedback im Blended Learning (Hauke Pölert)
Hier klicken zum Öffnen der interaktiven ThingLink-Grafik mit Blogbeiträgen und Youtube-Tutorials zu den einzelnen (Feedback-)Anwendungen (Hauke Pölert 2021)

Als kurzes Fazit eignet sich vielleicht am besten die Kombination der beiden Zitate von Gerold Brägger und Gregory Bateson zu einer veränderten Lernkultur, für deren Realisierbarkeit im Unterrichtskontext digitale Medien und passende Anwendungen eine zentrale Gelingensbedingung darstellen.

„Es braucht [mindestens] zwei, damit einer sich kennenlernt […] und das Lernen (der Schüler/innen) und die Lernarrangements (der Lehrperson) verbessert werden können.“

Gregory Bateson & Gerold Brägger / IQES

Weitere Online-Beiträge zu Feedback digital

Hier einige Verweise auf weitere Online-Artikel zum Thema Feedback digital. Diese Sammlung werte ich laufend ergänzen und hoffe, dass damit ein guter Überblick und viele Anregungen für den eigenen Unterricht zusammenkommen.

WebsiteInhalte
ebildungslabor:

ebi
Feedback in der Kultur der Digitalität:

Sehr informativer und guter Überblicksbeitrag zu Feedback in einer Kultur der Digitalität, der mit Hinweisen auf konkrete Tools für digitales Feedback abschließt.
(Autorin: Nele Hirsch)
Schule Digital:

Feedback Schule Digital
Feedback:

Ein informativer Beitrag mit Hinweisen, Methoden und Tools für digitales Feedback in Schule und Unterricht.
(Autor: Michael Drabe)
bildung.digital - Themenportal für Schule:

Feedback Digital
Feedback digital und auf Distanz:

Informativer Überblicksartikel zu Grundlagen, Methoden und Tools für digitales Feedback.
Andreas Schmitt - Padlet:

Übersicht: Feedback mit digitalen Medien
Übersicht: Feedback mit digitalen Medien
Evaluation und Feedback mit digitalen Medien:

Eine sehr hilfreiche Übersicht über verschiedene Applikationen / Webanwendungen zu dem Themenbereich "Evaluation und Feedback mit digitalen Medien", die laufend ergänzt wird.

3 Kommentare

  1. Aus meiner Sicht sind in der Abbildung „Feedback – Funktion und Formate in einer Kultur der Digitalität (Hauke Pölert 2020) eben genau Funktion und Format nicht sauber getrennt. Audio-, Video- oder Textfeedback sind nicht per se formativ, ebenso muss eine Selbstreflexion nicht formativ sein. Darin sehe ich die Gefahr, dass man glaubt, formatives Feedback zu geben, nur weil man die genannten Formate nutzt.

    • Nein, das ist völlig richtig. Die Grafik stammt aus einer Keynote, in der ich das genauer eingeordnet (im Blogbeitrag im Text unter der Grafik nur kurz angedeutet) habe: Natürlich sind Audio-, Video- und Textfeedback nicht per se formativ (wie auch?), die Tendenz in digitalen Lernsettings geht aber dahin, diese Formate (verstärkt) für formatives Feedback zu nutzen, da das Format in diesem Fall die Funktion erleichtert / unterstützt.
      Ich werde die Grafik entsprechend anpassen – vielen Dank für den Hinweis!

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.