Prüfungsangst und Aufregung sind häufig mit Prüfungssituationen verbundene Begleiterscheinungen – und stehen in vielen Fällen einer strukturierten Umsetzung des vorhandenen eigenen Wissens entgegen. So auch meine Erfahrung im Unterrichtsalltag, wenn Schülerinnen und Schüler in Prüfungssituationen plötzlich die einfachsten Zusammenhänge nicht mehr klar formulieren, die einfachsten Vorgaben nicht mehr befolgen (können) – und sie das dann trotz erheblichem Lernaufwand und definitiv vorhandenem Wissen um ihre gute Bewertung bringt.

Test Talk (by Howie Hua)

In einem TikTok-Video des bekannten Mathelehrers Howie Hua fand ich eine Möglichkeit, damit umzugehen und ohne großen Aufwand den mit Prüfungen verbundenen Stress zumindest etwas zu reduzieren. Aber auch: Über meinen eigenen Schatten als Lehrer zu springen und bekannte Prüfungssettings zumindest für kurze Zeit und in einem klaren Rahmen zu verlassen und einmal anders vorzugehen. Die Eindrücke Howies und die begeisterten Kommentare und Videos von Kolleginnen und Kollegen weltweit sprachen Bände…

@howie_hua

Teaching tip: Test Talk math mathematics mathtok teacher teachersoftiktok teaching

♬ original sound – Howie Hua

In dem Blogbeitrag „A Strategy for Reducing Math Test Anxiety“ erklärt und begründet Howie die Methode detaillierter und zeigt Praxisbeispiele. Dabei ist es eigentlich ganz einfach:

Test-Talk – Kleine Methode, große Wirkung?

Üblicherweise folge ich bei der Phasierung den Vorschlägen Howies und gehe wie folgt vor:

    1. 2 Minuten: Aufschlagen der Klassenarbeit oder Klausur und Querlesen von Material und Aufgaben (ohne Stift).
    2. Umdrehen der Prüfungsmaterialien.
    3. 3 oder 5 Minuten: Austausch und Gespräch in Kleingruppen (ohne Material oder Stifte).

Hier bieten sich natürlich an unterschiedlichen Stellen Spielräume für Variation – so z.B. bei der

    • Gruppengröße (Partnerarbeit, 3er-Gruppen oder größer?) oder der
    • Gruppenzusammensetzung (Ziel in meinen Augen: möglichst heterogene Gruppen),
    • bei der Zeit für die einzelnen Phasen oder
    • bei der Frage, ob das Material ggf. sichtbar auf dem Tisch liegen darf oder
    • Stifte für Notizen genutzt werden können.

Umsetzung im eigenen Unterricht

Was dann folgt, ist immer ein sehr reger Austausch und entspannt-angespannte Gespräche. Diese drehen sich eigentlich nie um Fakten oder Daten, sondern immer um größere Zusammenhänge bzw. auch das Aufgabenverständnis.

Die Rückmeldung nach den Klausuren mit dieser Methode zum Einstieg sind eindeutig: Es geht weniger um kurzfristige Hilfe bei Fakten o.ä., sondern vielmehr darum, dass der kurze Austausch in der Gruppe für Entspannung und mehr Sicherheit beim anschließenden Schreiben sorgt. Die zwischen Umdrehen und Schreiben geschaltete 5-Minuten-Phase bewirkt offensichtlich genau das, was sie soll: Nervosität abzubauen und dabei auch noch intensiv über das gelernte Thema zu sprechen.

Praxiseinblicke in US-Schulen

Wie das bspw. in Grundschulklassen funktioniert und welche Stimmung dort entstehen kann, zeigen zahlreiche Videos aus US-Schulen…

Nutzung in der Sekundarstufe II?

Zum einen sollte natürlich klar sein, dass dem Einsatz dieser Methode immer eine entsprechende „didaktische Analyse“ des Materials Klausur vorausgeht. Das bedeutet insbesondere, dass für den offenen Austausch zu Beginn der Klausur auch hinreichend komplexe Aufgabenstellungen geplant sein sollten. Einfache W-Fragen ließen sich natürlich leicht im Gespräch klären. Komplexe Fragestellungen, die Wissenstransfer und Abstraktion erfordern, hingegen nicht. Die Methode ist also zu Beginn von Klausuren (insbesondere im A- oder B-Feld) mit dem Fokus auf AFB III besonders gut einzuplanen.

Die entsprechenden Abschnitte in den Bezugsverordnungen bzw. -erlassen sprechen in meinen Augen in den oben begründeten Fällen nicht gegen eine reflektierte Nutzung – auch mit Blick auf die Vorbereitung der Abiturprüfung, die ja nach alter Tradition isoliert und (zumeist) ohne Austausch erfolgt. Welche Punkte könnten gegen eine Nutzung sprechen?

    • Zur Arbeit in der gymnasialen Oberstufe regelt in die Niedersachsen die VO-GO: §7, ergänzende Bestimmung 7.9  „Schriftliche Arbeiten (Klausuren) werden von Schülerinnen und Schülern einer Lerngruppe unter Aufsicht angefertigt und bewertet.“
    • Und für die Sek. I und Sek. II regelt in Niedersachsen der Erlass „Schriftliche Arbeiten in den allgemeinbildenden Schulen“ Satz 10: „Wird bei oder nach Anfertigung einer bewerteten schriftlichen Arbeit eine Täuschung oder ein Täuschungsversuch festgestellt, so entscheidet die Fachlehrkraft je nach Schwere des Falles, ob die Arbeit gleichwohl bewertet, die Wiederholung angeordnet oder die Note „ungenügend“ erteilt wird.“

Beides sollte mit Blick auf Planung und Aufsicht durch die Lehrperson unproblematisch sein.

Methode: Test Talk-Methode vor Klausuren/Klassenarbeiten (Howie Hua) 3
Open-book-Klausur in der Q1 (Geschichte eA)

Ebenso unproblematisch ist die abiturvorbereitende Funktion, die Klausuren in der Qualifikationsphase zum Abitur zukommt. Denn natürlich wird nicht in jeder Klausur mit dieser Methode gearbeitet, Schülerinnen und Schüler schreiben ja auch Klausuren nach Art und Dauer der Abiturprüfung („Vorabitur“) und sind daher sehr wohl mit den Gepflogenheiten des Abiturs vertraut. Das ist meine Aufgabe als Lehrer, die verliere ich durch die vereinzelte und gut begründete Nutzung dieser Methode nicht aus dem Blick.

Das gleiche gilt ja auch für open-book-Klausuren als eine Variante, die fallweise und abhängig vom Komplexitätsgrad der Arbeitsaufträge in der Qualifikationsphase interessant sein kann. Open-book-Klausuren, wie die von mir in der Q1 geschriebene Klausur zur Völkerwanderung, bereiten vielleicht nicht die Abiturbedingungen vor – sind aber dafür wissenschaftspropädeutisch angelegt, bereiten im Studium selbstverständliche Arbeitsschritte vor, und entsprechen damit auch dem Auftrag der gymnasialen Oberstufe.

Und, ganz wichtig: Vor allem sollten die inhaltlichen Auswirkungen der Methode nicht überschätzt werden. Mit einem Spickzettel oder einer Prüfungserleichterung ist diese Methode nicht zu vergleichen – 3 Minuten über ein (Klausur-)Thema ohne Stift und Papier zu reden steht in keinem Verhältnis zu 90 oder gar 200 Minuten Schreibzeit in den Klausuren der Qualifikationsphase.

Und abschließend nochmal zur Erinnerung: Howie Huas Blogbeitrag hatte den Titel „A Strategy for Reducing Math Test Anxiety“.


Und wer nach weiteren Gründen dafür sucht, diese Methode auf keinen Fall zu verwenden (ja, da wären wir wohl beim komplexesten Aspekt dieser Methode – meiner professionellen Haltung als Lehrer…), dem liefere ich gerne eine Argumentationsvorlage:

Methode: Test Talk-Methode vor Klausuren/Klassenarbeiten (Howie Hua) 4

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