Welche Bedeutung haben die neuesten technologischen Entwicklungen für das wissenschaftspropädeutische Arbeiten in der Schule? Das Seminarfach und mit ihm die Facharbeit sind schon länger ein Spiegelbild neuerer Entwicklungen, wenn Schülerinnen und Schüler spätestens im Jahrgang 12 ganz selbstverständlich mit neuen Tools arbeiten, die für Texterstellung und Textüberarbeitung zur Verfügung stehen. Seit der Veröffentlichung des Sprachmodells ChatGPT und zahlreicher KI-Plattformen zur Schreibunterstützung steht das wissenschaftliche Schreiben an sich vor einer neuen Herausforderung. Das gilt auch und gerade im Seminarfach und bringt spannende neue Möglichkeiten mit sich, aber eben auch Schwierigkeiten im bestehenden System.

Grundsätzlich damit auseinandergesetzt hat sich hier im Blog auch der US-Bestseller-Autor John Warner und dafür sicherlich nicht ohne Grund den Titel „Was erhaltenswert ist, wird bleiben – ChatGPT und das Schreiben im Unterricht“ gewählt.

Natürlich werden damit zunächst nicht die für das Seminarfach zentralen Grundprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens an sich in Frage gestellt, wohl aber manche Arbeitsweisen bzw. Phasen wie

    • Themenrecherchen und Themenfindung fĂĽr die Facharbeit,
    • Gliederung des Themenbereiches,
    • TextĂĽberarbeitung,
    • Zwischenfeedback auf bereits geschriebene Textteile,
    • Recherche und Einbindung von Quellenverweisen

– zumindest, wenn sie nach althergebrachter Weise und wie im Seminarfach (teils seit Jahrzehnten tradiert) durchgeführt werden sollen.

Die ersten vier Schreibphasen können bereits jetzt problemlos und durchaus differenziert mit ChatGPT & Co. bewältigt werden. Die Erfahrung im letzten Facharbeitsdurchgang 2023 zeigte, dass 100% der Schülerinnen und Schüler diese Möglichkeit nutzen. Die sonst sehr langwierige Phase der Themenfindung und Themengliederung verkürzte sich deutlich, es blieb mehr Zeit für die inhaltliche Ausdifferenzierung und Literaturrecherche im sehr engen Zeitrahmen des Seminarfachs, ebenso für individuelle Beratung. Ich sehe das durchaus als Verbesserung – auch wenn wenn das gedankliche Strukturieren eines Themas als erster Lernschritt nun weitgehend vom Sprachmodell erledigt wurde.

Aber ist das nicht ein ganz einfaches Beispiel für die neue Arbeitsteilung, das Ping-Pong von Mensch und Maschine? Und wie würden wir dem entgegenwirken wollen, wenn wir den damit verbundenen Lernverlust bereits in der Vorbereitungsphase der Arbeit so dramatisch fänden, dass wir die Nutzung von ChatGPT & Co. unterbinden wollten? Wir sollten hier sehr realistisch bleiben und den Prozess in Bahnen lenken, aber dazu später mehr…

ChatGPT /KI & wissenschaftliches Arbeiten - Gedanken zur Facharbeit im Seminarfach 1
Neue Normalität? Das Ping-Pong von Mensch und Maschine als Ko-Konstruktion (ChatGPT/Hauke Pölert 2023)

Kurzer Einschub: Worauf ich in diesem Beitrag nicht eingehen werde, ist das „Erkennen von KI-Plagiaten“. Denn meine große Hoffnung ist, dass Schulen und Lehrpersonen nicht den Fehler machen, dieses Katz-und-Maus-Spiel eröffnen zu wollen. Dieses Spiel ist aussichtslos, wenn es mit „KI-Erkennung“ und anderen Versprechen von Software-Herstellern geführt werden soll. Lassen wir es also – unsere Zeit ist zu wertvoll für Spiele, deren Ergebnisse am Ende wertlos bis fragwürdig sind. Aktuelle Studien sprechen Bände. 

Die neue Selbstverständlichkeit stellt ganz konkret die Rahmenbedingungen des Seminarfachs und der Facharbeit in Verordnungen und Erlassen, die spätestens seit dem Erscheinen von ChatGPT & Co. als tatsächlich nicht mehr ganz „zeitgemäß“ erscheinen, in Frage. Aber zunächst der Reihe nach:

Ziel der wissenschaftspropädeutischen Facharbeit

In meinem Bundesland Niedersachsen gibt die Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) in §10 vor:

In einem Schulhalbjahr der Qualifikationsphase wird im Seminarfach eine Facharbeit geschrieben. Die Facharbeit gibt den Schülerinnen und Schülern exemplarisch Gelegenheit zur vertieften selbstständigen wissenschaftspropädeutischen Arbeit. Sie bezieht sich auf den Unterrichtsgegenstand des Schulhalbjahres und soll den Rahmen von 15 Textseiten in Maschinenschrift nicht überschreiten. Die Schülerin oder der Schüler hat durch Unterschrift am Ende der Facharbeit zu versichern, dass sie oder er diese selbstständig angefertigt, keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt und die Stellen der Facharbeit, die im Wortlaut oder im wesentlichen Inhalt anderen Werken entnommen wurden, mit genauer Quellenangabe kenntlich gemacht hat.

Und das funktioniert eigentlich recht gut. Im ersten Semester der Q1 werden die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens eingeführt und geübt, häufig mit kleinen Mini-Facharbeiten als Prüfungsleistung. Im zweiten Semester steht dann in einem festen Zeitrahmen von 6 Wochen die Erarbeitung der Facharbeit an. Auf diese erfolgt anschließend die Bewertung, die mit dem Thema der Arbeit auf dem Abiturzeugnis erscheint. Die Note des Halbjahres ist zudem eine Einbringungsverpflichtung in Block I des Abiturs. Die Facharbeit an sich erhält also trotz der zeitlichen Limitierung von 6 Wochen einen hohen Stellenwert im Abitur – und das spiegelt sich auch in der Aufregung rund um die „Facharbeitsphase“ wider…

Ich finde diesen wissenschaftspropädeutischen Ansatz in der gymnasialen Oberstufe gut. Was aber künftig „Wissenschaftspropädeutik“ unter den Bedingungen von Sprachmodellen und KI bedeuten wird, das wird eine spannende Frage. Schauen wir daher kurz in die Entwicklungen des letzten Jahres.

ChatGPT & KI-Tools und ihre Bedeutung für die Facharbeit – kurze Chronologie

Phase 1: Einfaches Ausprobieren mit ChatGPT (ab Herbst 2022)

Schon früh war klar, dass ChatGPT & Co. zwar zunächst keine inhaltlich perfekten, präzisen und zugleich fundierten Texte zu typischen Fragestellungen einer wissenschaftlichen Arbeit lieferten. Ebenso früh war aber auch klar: Mit KI-Apps wird ein weiterer Sargnagel in das Konzept der – etwas überspitzt formuliert – hermetisch abgeriegelten Lernszenarien (geschlossener Raum ohne Internetzugang, gesteuert vom vermeintlichen Herrschaftswissen der Lehrperson) und „Selbstzweck-Schreibaufgaben“ geschlagen.

Aber â€žDas Ende der Aufsatzdidaktik“ (Wampfler) ist eben nicht das Ende der Didaktik des Aufsatzes. FĂĽr die Forschungsfelder der Fachdidaktik und Lernpsychologie, aber genauso fĂĽr uns als Lehrpersonen in der Unterrichtspraxis, wird es – um beim Beispiel der Facharbeit zu bleiben – spannend zu sehen, ob nicht in zahlreichen Fällen das

    • Analysieren,
    • (ggf. Korrigieren),
    • gemeinsame Reflektieren,
    • Erweitern und
    • Perfektionieren

einer KI-geschriebenen Textvorlage zum gleichen (kompetenzbezogenen) Lerneffekt fĂĽhrt, wie das Schreiben von Grund auf ohne Textvorlage – oder besser noch: die Verbindung von beidem. „Lernen am Modell“ am Beispiel einer (durchaus nicht fehlerfreien) KI-Textproduktion mit anschlieĂźendem Versuch, eine präzisere, besser begrĂĽndete, auf Referenzen / Querverweisen und persönlichen Urteilen aufbauende Argumentation zu schreiben: Gerade in Blended-Learning-Szenarien können daraus didaktisch hochinteressante Planungen entstehen. So betont auch Ines Bieler in einem Tweet die Einbindung dieser Tools schon in den Schreibprozess als zielfĂĽhrenden Ansatz.

Eine Facharbeit mit ChatGPT schreiben?

Spannend waren dann Projekte wie das eines Kollegen, der eine Facharbeit mit kleinteiligeren Fragestellungen vollständig mit ChatGPT schrieb und das per Twitter dokumentierte. Schon in der Frühphase funktionierte es, spätere Textüberarbeitung vorausgesetzt, relativ problemlos. Einziges Problem: ChatGPT lieferte noch keine Quellenverweise – und war damit erstmal weitgehend raus. Frühe Versuche von Schülern, mit ChatGPT eine Arbeit zu schreiben, wirkten inhaltlich unbeholfen, noch sehr auffällig und waren in der Regel leicht zu erkennen.

Phase 2: ChatGPT und andere KI-Tools fĂĽr wissenschaftliches Arbeiten nutzen (ab Herbst 2023)

Jetzt auch mit Zitaten: Consensus als Beispiel fĂĽr Textreferenzen in ChatGPT

Seitdem in ChatGPT individuelle GPTs – also inhaltlich angepasste Versionen von ChatGPT – erstellt werden können, kommen täglich neue Tools heraus. Besonders interessant für Facharbeiten ist die Plattform Consensus: Diese auf wissenschaftliche Publikationen spezialisierte Suchmaschine veröffentlichte schon nach wenigen Tagen ein GPT, das ChatGPT mit der Consensus-Publikationendatenbank verbindet. Der Name: ResearchGPT.

Und ResearchGPT funktioniert bereits recht gut, wie hier im Video am Beispiel einer Erörterung zu den Gründen für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu sehen ist:

In dem Video sehen wir, wie das Tool anhand des ChatGPT-Prompts die Datenbank von Consensus befragt, zahlreiche VerknĂĽpfungen zu wissenschaftlichen Arbeiten herstellt und diese in die Argumentation einbindet.

Vorteil: Ich kann auf die Referenz-Links klicken und gelange dann in die Zitate-Ansicht von Consensus, in der ich den Textauszug sehe und ggf. auch den vollständigen Text (je nach Verfügbarkeit) erhalten kann.

ChatGPT /KI & wissenschaftliches Arbeiten - Gedanken zur Facharbeit im Seminarfach 2
Zitat-Ansicht in Consensus – Textauszug, Links und die Möglichkeit, Zitate zu speichern (teilweise nur mit Account bzw. Premium-Zugang möglich).

Suche ich nun aber nach bestimmten – z.B. bekannteren – Historikern für meine Fragestellung, zeigen sich die Grenzen von ResearchGPT. Denn die Datenbank umfasst bislang größtenteils academic papers, nicht aber Fachbücher. Und das beeinflusst natürlich unmittelbar die Rechercheergebnisse über ResearchGPT, wenn ich beispielsweise gezielt nach bestimmten Historikern frage, auf die sich die Argumentation beziehen soll:

In diesem Fall sind weder Christopher Clark, Herfried Münkler noch Sönke Neitzel als Standardreferenzen zum Thema Erster Weltkrieg abrufbar – die Argumentation verliert damit an Bezug zum aktuellen wissenschaftlichen Diskurs. Dennoch: Für viele Fächer und Themenbereiche kann gerade dieser Zugriff auf 200 Millionen papers besonders interessant sein. Denn so werden zahllose Studien (Naturwissenschaften, Psychologie, Pädagogik etc.) für die textbezogene Recherche überhaupt erst zugänglich.

Und fĂĽr die Facharbeit bedeutet das ganz klar: Dem automatisierten Erstellen von referenzgestĂĽtzten argumentativen Texten steht seit dem Erscheinen von Tools wie ResearchGPT nichts mehr im Wege!

Elicit – KI-gestützte Wissensdatenbank für passgenaue Zitate

Eine weitere sehr interessante Datenbank mit – nennen wir es mal so – Auto-Zitationsfunktion ist Elicit. Doch der Schritt zum automatisierten Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten ist hier bereits greifbar: Das KI-gestützte Tool Elicit.org kann Millionen von Artikeln durchsuchen, um Zusammenfassungen zu erstellen oder Bezüge herzustellen, und damit das wissenschaftliche Arbeiten deutlich erleichtern. Die Verknüpfung mit bspw. ChatGPT hin zu einem Tool für wissenschaftlichte Texte inklusive aller Referenzen liegt hier sehr nahe. Ein kurzes Beispiel zum Thema „Feedback in High School Classroom“ zeige ich im Video:

Was bedeuten diese Entwicklungen für wissenschaftliches oder wissenschaftspropädeutisches Arbeiten?

Angesichts der Tatsache, dass KI und Sprachmodelle in der Lage sind oder sein werden Texte selbständig zu verfassen, wird ein Wandel auf unterschiedlichen Eben nötig sein. Manches kurzfristiger, anderes langfristiger. Manches mag naiv erscheinen, anderes ist sehr pragmatisch. Hier ein kurzer, erster Zwischenstand mit Blick auf Schule und schulische Realitäten:

Ansatz 1: Kurzfristig – Klare und verbindliche Regeln schaffen (Offenheit durch Verbindlichkeit)

Ein erster wichtiger Schritt für das Lernen mit KI ist das Akzeptieren dieser Entwicklung, die sich natürlich nicht mehr zurückdrehen lässt. In diesem Zusammenhang sind gemeinsame Regeln entscheidend wichtig. Regeln, die kein grundlegendes Verbot aussprechen (können), sondern grundsätzlich die Nutzung von Sprachmodellen und KI im Rahmen der Facharbeit strukturieren und doch klare Vorgaben machen, wann und wie KI genutzt werden darf. Philippe Wampfler hat dafür unter Nutzung des Offensichtlichen ein passendes Regelblatt zusammengestellt, das genau für diese erste Herausforderung einen klaren Rahmen schafft. Solche und ähnliche Vereinbarungen sind kurzfristig im Seminarfach (und allen anderen Fächer) umsetzbar und sollten auch als Diskussionsgrundlage für Kollegien, aber genauso für das Gespräch mit den Schülern dienen.

Hier geht es zum Dokument: Merkblatt fĂĽr Hausaufgaben, Lernprodukte und Klassenarbeiten zum Umgang mit KI-/LLM-Tools als Google Doc bzw. hier zum Ausgangsdokument von Philippe Wampfler.

Und ein Beispiel für eine schulinterne Regelung zum jetzigen Zeitpunkt erhielt ich vom Gymnasium Neubiberg und Georg Schlamp – sicherlich für viele Schulen von Interesse, zeigt es doch genau den pragmatisch orientierten Ansatz, der im Vordergrund stehen sollte:

Eine ausführliche und sehr empfehlenswerte Handreichung hat das Kultusministerium Bayern veröffentlicht – das Dokument beinhaltet Leitlinien und Entwicklungspotentiale, aber genauso auch kritische Reflexionen der Möglichkeiten für das Wissenschaftspropädeutische Seminar. Eine solche Handreichung sollten alle Bundesländer ihren Lehrkräften zur Verfügung stellen:

Ansatz 2: Mittelfristig – Arbeitsprozess im Fokus (Prozessualität stärken)

Auch im Rahmen einer Konferenz der Göttinger Oberstufenkoordinatoren waren wir uns einig, dass in Zeiten von Sprachmodellen, KI und anderen Hilfen die Schreibphase an sich gestärkt und neu strukturiert werden sollte. Je individueller die Begleitung durch die betreuende Lehrperson sein kann, desto besser – einerseits natürlich für den Schreibprozess und die Unterstützung in dieser für viele noch neuen Disziplin (zumindest im Umfang von bis zu 15 Seiten), andererseits aber auch im Hinblick auf mögliche Plagiate. Doch dafür ist eines nötig, dass wir momentan immer weniger zugestanden bekommen: Zeit.

Das wiegt umso schwerer, als beispielsweise in Niedersachsen mit der Umstellung von G8 auf G9 das vierte Semester des Seminarfachs ersatzlos gestrichen wurde. Eine Fehlentscheidung. Eine Fehlentscheidung, was die Kürzung dieses allgemein-methodisch ausgerichteten Faches betrifft. Und auch eine Fehlentscheidung angesichts der neuen Herausforderungen, vor denen die gymnasiale Oberstufe als wissenschaftspropädeutische Phase in Zeiten von Sprachmodellen und KI steht. Hier sollte umgedacht werden – möglich wäre bspw. eine Stärkung des zweiten Semesters der Q1 (in dem die Facharbeit geschrieben wird) oder zusätzliche Zeit per Anrechnungsstunden für die betreuenden Lehrkräfte.

Ein schwieriges Thema, aber wer wie die niedersächsische Kultusministerin Schritt A wagt und „Künstliche Intelligenz muss in die Schulen“ fordert, sollte auch Schritt B in Angriff nehmen und das Seminarfach wieder stärken.

Wie könnte der Schreibprozess unter diesen Bedingungen aussehen? Einige Ideen aus der Praxis, die teilweise gar nicht neu sind, aber größere Bedeutung gewinnen könnten:

Vor der Facharbeit – Seminarfach

  • Aufklärung ĂĽber akademische Integrität: Die Bedeutung von akademischer Ehrlichkeit und Selbstständigkeit, die wissenschaftliches Arbeiten ausmacht im Kontext neuer „Arbeitserleichterungen“ thematisieren und anhand von Praxisbeispielen reflektieren. Erklären, dass das Schreiben eigener Arbeiten essenziell fĂĽr den Lernprozess ist und dass das Verwenden von KI-Texten als Betrug angesehen wird (s. Merkblatt oben).
  • Individuelle Themen und Fragestellungen: Individuelle, spezifische Themen oder Fragestellungen ausgeben, die schwer von einer KI zu generieren sind. Dies fördert zudem die kritische Auseinandersetzung der SchĂĽler mit dem Thema, was auch mithilfe von zu fĂĽhrenden Interviews unterstĂĽtzt werden könnte. Im Fach Geschichte kann das z.B. bedeuten, dass Themen
    • zur Lokal- oder Regionalgeschichte,
    • Familiengeschichte oder
    • dem eigenen Hobby gewählt und im Rahmen der Vorbereitung begrĂĽndet werden.
  • Ergänzend zu Punkt 2 sollten per se Themen gefordert werden, die persönliche Reflexionen verlangen: Aufgaben, die persönliche Meinungen, Erfahrungen oder Reflexionen erfordern sind in der Regel schwerer per KI zu imitieren.

Vor und während der Facharbeit – Seminarfach

  • Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben: Als Schreibbegleitung können Workshops, z.B. „Schreibwerkstätten“, hilfreich sein, die den SchĂĽlern die Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens vermitteln bzw. die im Seminarfach gelegten Grundlagen vertiefen. Dies stärkt ihre Fähigkeiten und ihr Vertrauen, eigenständig eigene Texte zu verfassen.
  • Diskussionen ĂĽber KI und ihre Grenzen: Diskussionen ĂĽber die Möglichkeiten und Grenzen von KI im Lernkontext, so z.B. durch regelmäßige Nutzung von und Reflexion ĂĽber KI-Tools, klären auf, schärfen das Problembewusstsein und können auch ĂĽberhaupt erst ein Bewusstsein fĂĽr die ethischen Aspekte des Einsatzes von KI-Tools schaffen.

Während der Facharbeit – Seminarfach

  • Prozessorientiertes Arbeiten: Statt nur das Endergebnis zu bewerten, sollte der Schreibprozess mit einbezogen werden. Grundlage fĂĽr regelmäßige Reflexionsgespräche sollten sein: EntwĂĽrfe, Gliederungen und Reflexionen ĂĽber den Arbeitsprozess, die vor allem den Entstehungsprozess des vorhandenen Textes transparent machen. Ein Ansatz, der relativ problemlos umsetzbar ist, wenn den SchĂĽlern von Beginn an klar ist, dass sie ihren Arbeitsprozess (z.B. in Form eines Arbeitstagebuches ergänzt durch die jeweils verwendeten Materialien etc.) dokumentieren mĂĽssen.
  • Regelmäßige Feedback-Schleifen: Während des Schreibprozesses sollte regelmäßiges Feedback zum status quo eingeplant werden. Dies hilft, die individuelle Arbeit der SchĂĽler zu unterstĂĽtzen und sicherzustellen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Die Erfahrung zeigt, dass schon kurze Gespräche (natĂĽrlich ohne Lösungshinweise zu geben) ĂĽber Probleme, Schwierigkeiten oder auch besonders gelungene Ansätze helfen, im Schreibprozess weiterzukommen.

Nach der Facharbeit – Seminarfach

  • MĂĽndliche PrĂĽfungen oder Präsentationen: Wird die schriftliche Arbeit unmittelbar durch eine mĂĽndliche PrĂĽfung oder Präsentation ergänzt – ähnlich einem Kolloquium – lässt sich leichter erkennen, ob Themen selbständig erarbeitet und inhaltlich durchdrungen wurden. Meine persönliche Erfahrung: In der Regel fallen die Präsentationen und Diskussionen zu den Facharbeiten dann sogar nochmal besser aus, als die eigentliche Arbeit. Denn hier zeigen sich dann das umfassende Wissen, das zu einem Thema erworben wurde, die Begeisterung fĂĽr das Thema und oft auch der persönliche Einsatz. Passend könnte also eine Art „Kurzverteidigung“ der Facharbeit direkt im Anschluss an deren Abgabe sein.

Ansatz 3: Langfristig – KI-Nutzung und Arbeitsethik (KI als sokratischer Tutor)

In der Welt der akademischen Forschung und des Lernens hat die Einführung generativer KI-Modelle wie ChatGPT definitiv eine neue Phase eingeleitet, auch wenn man der Revolutionsrhetorik nicht folgen möchte. Denn diese Werkzeuge bieten weit mehr als das reine Liefern von Fakten; sie können auch als Katalysatoren für kritisches Denken und intellektuelle Entfaltung dienen. So zumindest Katharina Opper in dem lesenswerten Beitrag „Im Sokratischen Gespräch mit KI“ für das Hochschulforum Digitalisierung, indem sie die Frage aufwirft, ob generative KI-Tools nicht auch als Impulsgeber für kritisches Denken gerade zum Lernen anregen könnten?

ChatGPT /KI & wissenschaftliches Arbeiten - Gedanken zur Facharbeit im Seminarfach 3

Die sokratische Methode, benannt nach dem antiken griechischen Philosophen Sokrates, ist eine Form des Dialogs, in der Fragen gestellt werden, um zum Nachdenken anzuregen und tiefere Einsichten in eine Materie zu gewinnen. Im Kontext des wissenschaftlichen Arbeitens mit KI wird diese Methode nun nach Opper transformiert: Der Fokus liegt nicht darauf, dass die KI fertige Antworten liefert, sondern darauf, dass sie gezielte Fragen stellt, die den Lernenden herausfordern, selbstständig zu denken und Wissen interaktiv zu erarbeiten. Diese Herangehensweise leitet eine Abkehr von der passiven Wissensaufnahme ein und fördert ein aktives, exploratives Lernen.

Dazu sah ich vor einiger Zeit ein Praxisbeispiel aus dem OpenAI-Fundus, das für künftige schulische Lernsysteme (Sprachmodelle/KI als Lernbegleitung und Feedbackgeber) wegweisend sein könnte – ein ganz einfaches Beispiel aus dem Matheunterricht, das in dem Bild rechts die Möglichkeiten verdeutlicht.

Ein weiteres konkretes Beispiel für diese Methode aus dem Fundus von Opper ist die Interaktion mit einem Chatbot in einem sokratischen Dialog zu einem komplexen Thema wie „Geschlechterrollen in den Medien“. Anstatt direkte Antworten zu geben, könnte ein KI-basierter Chatbot, wie ChatGPT, nun durch gezielte Fragen durch das Thema führen. Diese Fragen könnten sich auf persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Auswirkungen oder die Gründe hinter bestimmten Darstellungen konzentrieren. Durch diesen Prozess erlangt der Studierende nicht nur ein tieferes Verständnis des Themas, sondern entwickelt auch die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven kritisch zu analysieren und eigene Argumente zu formulieren.

In diese Richtung gehen auch einige der Ideen, die ich im Blogbeitrag „Lernbegleitung mit ChatGPT Mega-Prompts? Erste Überlegungen zu KI als Writing-Tutor“ skizzierte.

Der Einsatz generativer KI-Modelle in diesem Prozess könnte also die Möglichkeit bieten, die sokratische Methode für das Lernen unter den Bedingungen von KI anzupassen. Durch die Entwicklung spezifischer Eingabeaufforderungen (Prompts) oder am besten gleich fertiger Lernumgebungen (wie bspw. FieteAI oder to-TeachAI) können Sprachmodelle/KI-Tools dazu genutzt werden, die Lerner nicht nur mit Fragen zu konfrontieren, sondern sie auch dazu anzuregen, ihre Gedanken zu ordnen und zu fundierte(re)n Schlussfolgerungen zu gelangen. Dieser Ansatz betont die Bedeutung des eigenständigen Denkens und der Selbstreflexion, wegweisende Kompetenzen in einer zunehmend komplexen und informationsreichen Welt.

Gerade aus langfristiger Perspektive (aber auch dazu sind wir als Lehrpersonen, Schulen und am Thema Interessierte ja gefordert) denke ich, dass die Anwendung der sokratischen Methode im Kontext von KI ein vielversprechender Ansatz ist.

Warum?

Sie verschiebt den Schwerpunkt von der reinen Informationsaufnahme (status quo mit Blick auf unsere Schüler) im besten Fall hin zu einem tieferen und interaktiven Lernprozess (so zumindest die damit verbundene Hoffnung). Dies fördert nicht nur das Verständnis und die Reflexion über komplexe Themen. Es kann – und auch hier wieder: so meine Hoffnung! – auch darauf vorbereiten, in einer Welt, in der Informationen schnell und in großen Mengen verfügbar sind – und von Sprachmodellen intransparent zu vorgeblichen Lösungen verarbeitet werden – kritische und informierte Entscheidungen zu treffen.

Und was brauchen wir dafĂĽr?

  • UnterstĂĽtzung von den Ländern – in Form einheitlicher, DSGVO-konformer Plattformen fĂĽr die Schulen, die dann genau diesem hier skizzierten sokratischen Ansatz folgen und das Lernen mit und ĂĽber KI in den Unterricht bringen.
  • Anders werden wir unseren SchĂĽlerinnen und SchĂĽlern wohl kaum die Leitideen der Ansätze 1 und 2 nahebringen können.
  • AuĂźerdem eine passende Stundentafel oder Entlastungstöpfe, die den neuen Anforderungen gerecht werden helfen und Fehler der Vergangenheit (Seminarfach kĂĽrzen) revidieren.

Einheitliche Plattformen oder Stundenkontingente erscheinen momentan wenig realistisch, aber dieser dritte Ansatz fokussiert ja auch ganz bewusst die langfristige Perspektive und formuliert ein erstes Ziel. Und eine Entwicklung ohne über den aktuellen Stand der Dinge hinausgehende Ziele wäre doch fatal, oder?

Und was ist mit den Präsentationen der Facharbeit?

Zum Thema Facharbeitspräsentationen? Eigentlich fast analog zu oben – dazu aber bald mehr…

Wer schon jetzt einen ersten Einblick in die Fähigkeiten von Plattformen für KI-generierte Präsentationen erhalten möchte, kann gerne in den „Werkstattbericht KI-Tools“ schauen: Mit SlidesGPT und GammaAI sind zwei Plattformen verfügbar (und werden auch viel von den Schülerinnen und Schülern genutzt), die einen ersten Eindruck von dem vermitteln, was künftig möglich sein wird.


Und auch bei diesem Blogbeitrag ist es so: Hier wird fortlaufend ergänzt. Daher freue ich mich über Anregungen, Ergänzungen und neue Perspektiven!

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