Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen begann der Siegeszug der „digitalen Tafel“, auch genannt: Interaktives Whiteboard. Seien es Interaktive Whiteboards / Displays oder die stark beworbenen Smartboards©: Keine Schule, keine Universität, die etwas auf sich hielt, konnte sich in den letzten Jahren der Anschaffung z.B. eines Smartboards© (eine Hersteller-Marke) entziehen, wollte doch jeder vorne mitspielen, wenn es um die Einführung neuer Lehrtechnologien geht. Die Vorteile liegen auf der Hand, die Digitalisierung der Tafel verspricht neue Möglichkeiten und eine zukunftssichere Infrastruktur.

Hinzu kommt das omnipräsente Marketing, insbesondere von Smarttech / Smartboard©, das beispielsweise mittels einer eigens gegründeten Informations- und Diskussionsplattform für Lehrkräfte (Netzwerk Digitale Bildung) vordergründig markenunabhängig die Digitalisierung von Schulen fördert. Doch in der Schulpraxis sind die Erfahrungen durchwachsen, häufig ernüchternd. Jede Schule sollte daher zu Beginn der Ausstattungsplanung im Rahmen eines Medienkonzeptes fundiert abwägen und entscheiden.

Interaktives Whiteboard / Smartboard als Tafelersatz – eine gute Lösung für Schulen?

Alle führenden Whiteboard-Anbieter (SmartNotebook, Active Inspire, Class Flow etc.) bieten dabei ähnliche Funktionen, die für einen flexibleren Unterricht reizvoll sind und didaktischen Mehrwert versprechen:

  • Text mit Stift oder Finger bzw. mit der Tastatur schreiben.
  • Zeichnen geometrischer Formen.
  • Speichern und Öffnen von Seiten ⇒ damit ist nun die Vorbereitung von Inhalten zuhause und deren direktes Öffnen im Klassenraum möglich.
  • Mehrere Seiten nacheinander anlegen.
  • Externe Objekte einfügen (Bilder, Texte, Grafiken, Statistiken etc.).
  • Objekte vergrößern, verkleinern und verschieben ⇒ Tafelbilder können also auch im Nachhinein problemlos verändert oder korrigiert werden.
  • Dynamisches Einbinden von Medien (Videos, Musik, Inhalten aus dem Internet) in das Tafelbild ist möglich.
  • Im Vergleich zum Beamer ein sehr scharfes und hochauflösendes Bild – gerade neuere Geräte mit LCD-Display (4K/UHD) – die keinen separaten Projektor mehr benötigen.
  • Integrierte Lösung mit Bild- und Soundübertragung ohne externe Zusatzgeräte.
Interaktives Whiteboard oder Beamer?
Auf Messen stark beworben: Interaktive Whiteboards

Problematisch bei Interaktiven Whiteboards sind vor allem vier Faktoren, die in der Praxis deutlich zu Tage treten:

  • Der sehr hohe Preis von z.B. bei Smartboards© von 6.000-10.000 Euro pro Gerät, aber auch bei neueren LCD-Geräten ohne eigene Lernumgebung mindestens ca. 4.000 Euro für ein Display mit Projektionsfunktion.
  • Die Einarbeitung in ein neues System und die Software, die erfahrungsgemäß häufig zu Frustration in der Praxisanwendung führt und umfassende und wiederholte Fortbildungen erfordert. Beispielsweise die Smartboard©-Technologie beruht auf einem eigenen System, das nach zahlreichen Praxiserfahrungen nur schwer ohne Einführung bedient werden kann. Problematisch in Kollegien mit höchst heterogenen Vorkenntnissen: Für Lehrkräfte kommt ein neues System mit technischen Eigenheiten hinzu. Anstatt das persönliche Endgerät im Rahmen einer Beamer-Lösung nahtlos weiternutzen zu können, müssen sich Lehrkräfte an ein zusätzliches Medium gewöhnen, dessen Zusatznutzen im Vergleich zu einem Tablet sich nicht unmittelbar erschließt.
  • Im Vergleich zu Beamer-Lösungen eine bei vielen Geräten geringere sichtbare Arbeitsfläche (z.B. bei früheren Generationen kaum lesbare Inhalte durch kleine Bildschirmdiagonalen). In der Regel muss für Klassenräume die größtmögliche, aber auch teuerste verfügbare Displaydiagonale (meist 86 Zoll) beschafft werden, um die Sichtbarkeit bis in die letzte Reihe zu gewährleisten.
  • Im Vergleich zu dezentral aufgebauten Beamer-Lösungen (Kurzdistanzbeamer) kommen bei integrierten Lösungen wie einem Interaktiven Whiteboard häufig hohe Wartungskosten im weiteren Verlauf (Verschleiß an Lampen, Verlust der Spezialstifte, Kosten für neue Software etc.) hinzu. Berichte aus der Praxis zeigen, dass dies an vielen Schulen dazu führte, dass Smartboards© trotz ihrer Möglichkeiten relativ schnell zu teuren Investitionsruinen wurden – es fehlte nach häufig so euphorischen wie verfrühten Schnellkäufen an didaktisch-pädagogischen Konzepten, Fortbildungen und einer offensichtlichen Komplexitätsreduktion für die Lehrkräfte. Das Ergebnis: Smartboards© zum Beispiel werden als teurer Beamer-Ersatz genutzt oder wieder durch Beamer ersetzt, weil der Second-Level-Support keine zeitnahe Behebung von Problemen gewährleisten kann.

Interaktives Whiteboard oder Beamer mit Tablet / iPad? – Bewertungskriterien

Schlüssiger erscheint es in der Zusammenführung aller Pro- und Contra-Argumente, eine digitale Lern- und Arbeitsumgebung in Klassenräumen einzurichten, die folgenden Kriterien entspricht:

  • Möglichst Kosten-Nutzen-optimierte Gesamtplanung (Anschaffung, Wartung, Support, Ersatz).
  • Möglichst niedrigschwellige Einführung und Nutzung durch Lehrkräfte möglich – im Optimalfall mit nahtlosem Übergang von der Vorbereitung zuhause zur Unterrichtsdurchführung im Klassenraum – um direkt die konkrete inhaltliche Unterrichtsentwicklung zu beginnen.
  • Möglichst hohes Potential für die Unterrichtsentwicklung im Sinne der Öffnung von Lehr-Lernprozessen, der Entwicklung interaktiver Inhalte und der schülerorientierten Nutzung zentraler Projektionsmöglichkeiten (Stichwort „Demokratisierung des Beamers“, wie von Axel Krommer umfassend in seinem Beitrag „‘Bring your own device!‘ und die Demokratisierung des Beamers“ vorgestellt).
  • Möglichst hohe Flexibilität hinsichtlich Modifizierung und Weiterentwicklung der technisch-pädagogischen Infrastruktur.

Tablet und Beamer als Tafelersatz – wer braucht noch interaktive Tafeln?

In allen Punkten scheinen die Vorteile eher nicht bei Interaktiven Whiteboards zu liegen.

Insbesondere das Preis-Leistung-Argument dürfte für Schulen – auch im Jahr 2020 mit den Fördermitteln des DigitalPakt Schule – ausschlaggebend dafür sein, gilt es doch auch Folgekosten zu bedenken. Daher sind nach wie vor dezentrale Präsentationssettings – also ein digitales Endgerät mit Beamer und Sound sowie möglichst drahtloser Übertragung – deutlich vorteilhaft für die Schulpraxis. Dies gilt insbesondere für Schulen, die im 1:1-Ansatz mit Tablets arbeiten und sich von lehrerzentrierten Unterrichtsszenarien abwenden.

Anstatt eine viele tausend Euro teure Whiteboard-Ausstattung zu kaufen, die zudem statisch im Klassenraum befestigt ist, müssen Schulen nur folgende Voraussetzungen schaffen:

  • Eine weiße Projektionsfläche im Klassenraum (sinnvollerweise zentral über der Tafel),
  • einen HD-Beamer (ca. 400-1.000 Euro),
  • HDMI-Kabel und Adapter für das iPad (ca. 40 Euro)
  • ggf. Musikboxen (100-200 Euro),
  • Module zur drahtlosen Bildübertragung vom Tablet auf den Beamer (Hardware wie „EZCast“ oder „Chromecast“ für verschiedene Betriebssysteme, Miracast für Android bzw. AppleTV für Apple iOS, 60-300 Euro, je nach Modell).

Die Kosten stellen insgesamt nur den Bruchteil einer Smartboard-Lösung dar. Eine solche, derzeit an vielen Schulen praktizierte Lösung, erscheint unter Abwägung aller Aspekte

  • als Kosten-Nutzen-optimale Lösung,
  • mit einem niedrigschwelligen Einstieg für Lehrkräfte,
  • da u.a. ausschließlich mit den eigenen, bereits eingeführten Endgeräten gearbeitet wird,
  • und ein solches Konzept jederzeit hinsichtlich seiner Einzelkomponenten an neue Bedingungen angepasst und verändert werden kann.

In der Unterrichtspraxis werden insbesondere deshalb auch iPads als vollwertiger Smartboard-Ersatz genutzt, da kostengünstige Apps erhältlich sind, die den gesamten interaktiven Smartboard-Funktionsumfang und in der Nutzung zusätzliche Vorteile bieten. Eine in dieser Hinsicht vorbildliche App ist „Explain EDU“, die führende Whiteboard-App für iOS, zu der über „iPad für Lehrer“ auch ein Video-Tutorial veröffentlicht wurde, die ein Interaktives Whiteboard überflüssig macht und auch kollaborativ zur synchronisierten Erarbeitung gemeinsamer Inhalte genutzt werden kann.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Soll es etwas einfacher sein, stellt auch die Notizen-App GoodNotes eine hervorragende Lösung dar – einen kurzen Überblick bietet ein Video aus dem Youtube-Kanal.

Zusätzliche (pädagogisch-didaktische) Vorteile:

  • In lehrerzentrierten Phasen: Erstellen von Kommentaren und Tafelbildern am Lehrerpult mit Blick zur Klasse ⇒ konzentrierteres Arbeiten.
  • Normale Schreibposition am iPad (mit ApplePencil) statt stehend am Board ⇒ optisch gelungenere Arbeitsergebnisse.
  • Auch Schülerinnen und Schüler können (per AppleTV drahtlos) Arbeitsergebnisse und Inhalte nahtlos präsentieren ⇒ effizientere Unterrichtsdurchführung.
  • Nutzen von Clouds (schulintern z.B. iServ oder privat z.B. Dropbox zum Aufrufen und Abspeichern von Inhalten).
  • Nahtlose Nutzung aller Medien (Audio, Video etc.) über die gewohnte Arbeitsoberfläche ⇒ größere Sicherheit bei Lehrkräften.
  • Weiternutzung der Arbeitsergebnisse auf dem (i.d.R. privaten) Tablet / iPad.
  • Nutzung der Ergebnisse auf dem Tablet / iPad klassenraumübergreifend möglich – eine vollständige Smartboard-Ausstattung von Schulen erscheint dagegen aufgrund der Kosten utopisch.

Fazit: Praxisempfehlung – Tablet und Beamer / passives Display als hochfunktionale kostenbewusste Lösung

Aus meiner Sicht hat sich die Kombination der passiven Präsentationsausstattung mit aktiven persönlichen Endgeräten im Praxiseinsatz inzwischen deutlich bewährt.

Die Anschaffungskosten sind geringer, die Wartungskosten (basierend auf Erfahrungswerten) ebenfalls, die Vorteile für die Lehrkräfte (einfache Bedienung, persönliches Endgerät, Arbeitsweise im Unterricht etc.) liegen auf der Hand. Fortbildungskonzepte können sich voll und ganz auf die inhaltliche Unterrichtsentwicklung fokussieren.

Zugleich bieten – anhand des Apple-Systems hier nur beispielhaft genannt – Apps wie „Explain Everything“ und „GoodNotes“ bei intuitiver Anwendung einen hervorragenden Funktionsumfang, der alle Anforderungen im Unterricht erfüllt. Ansonsten angeführte Argumente für Interaktive Whiteboards wie Zeitersparnis, unbegrenzter Arbeitsplatz, verbesserte Visualisierung, Aktualität und Aktualisierbarkeit sowie Rundum-Medienintegration gelten damit genauso für passive und auf persönlichen Endgeräten aufbauende Konzepte.

Das Tablet schlägt damit deutlich das Interaktive Whiteboard / Smartboard / Display, das bei genauer Kosten-Nutzen-Abwägung nicht als überzeugende und zukunftssichere Lösung für die (notorisch finanzschwachen) Schulen erscheint. Ob es sich bei der passiven Ausstattung nun um Beamer oder Displays – die in den letzten Jahren deutlich im Preis gefallen und in vernünftigen Größen bereits ab ca. 1.700€ erhältlich sind – handelt, ist letztlich zweitrangig. Das hängt vom Medienkonzept der jeweiligen Schule ab. Ein eigenes Marken-System eines Herstellers interaktiver Whiteboards / Smartboards einzuführen, ist dagegen höchst kritisch zu bewerten.


Praxisbeispiel: Empfehlung eines Schulträgers zur Frage „Interaktives Whiteboard oder Tablet und Beamer?“

Am Beispiel einer mittelgroßen Stadt – wichtig: dieses Beispiel stammt aus dem Jahr 2019 zu Zeiten der DigitalPakt-Einführung und ist inzwischen preislich nicht mehr ganz aktuell – können die Planungsdimensionen hinsichtlich der hier behandelten Frage exemplarisch verdeutlicht werden:

Aufgrund des Einsatzes unterschiedlichster Präsentationstechnik (vom Beamer bis hin zum Interaktiven Whiteboard) wurde dem Schulträger von einem eigens beauftragten kommunalen Beratungsunternehmen empfohlen, zunächst eine Grundsatzentscheidung zu treffen, ob Interaktive Whiteboards gestattet werden. Im Falle einer Zustimmung sollte diese Lösung dann in allen Schulen der Stadt umsetzbar sein.

Welche beträchtlichen Konsequenzen diese Frage für das bereitzustellende Budget hat, zeigt sich hier: Interaktive Tafeln der ersten Generation sind veraltete und fehleranfällige Technik, von der aus heutiger Sicht abgeraten wird. Die beiden Marktführer Promethean und Smart verkaufen inzwischen berührungsempfindliche Displays. Diese sind in einer vergleichbaren Größe (86 Zoll) verfügbar, haben aller Voraussicht nach einen höheren Nutzungszeitraum (7+ Jahre) und kosten inklusive Montage und Höhenverstellung ca. 7.500 € pro Gerät.

Szenario 1 (86-Zoll-Interactive-Touch-Display):

  • Vollausstattung aller Räume über den Planungszeitraum mit Interaktiven Displays (86 Zoll)

-> 885 (Klassen- und Kursräume an allen Schulen des Schulträgers) * 7.500,- € = 6,6 Mio. €

Eine Verringerung der Bildschirmdiagonale senkt die Kosten. Es muss dann aber in den Schulen erprobt werden, ob z.B. 75-Zoll ausreichend groß sind (bei Kosten von ca. 5.000 – 6.000 € pro Gerät).

Szenario 2 (75-Zoll-Interactive-Touch-Display):

  • Vollausstattung aller Räume über den Planungszeitraum mit Interaktiven Displays (75 Zoll)

-> 885 * 5.500,- € = 4,9 Mio. €

Generell ging die Rückmeldung dahin, dass die vom Unternehmen beratenen Schulträger und Schulen äußerst positive Erfahrungen mit passiver Präsentationstechnik (fest montierte Kurzdistanzbeamer oder kleinere Flachbildschirme als Ergänzung zur vorhandenen Kreidetafel oder einer zu beschaffenden Weißwandtafel) gemacht hatten. Interaktivität wird hier durch das angeschlossene Endgerät (z.B. ein Tablet) erzeugt. Mehrere Städte richteten ihre Ausstattungsplanung bereits danach aus. Die Kosten sind deutlich geringer und liegen bei etwa 2.500 € pro Installation.

Szenario 3 (passive Präsentationstechnik):

  • Ersatz der vorhandenen Technik und Vollausstattung aller Räume über den Planungszeitraum mit passiver Präsentationstechnik

-> 885 * 2.500,- € = 2,2 Mio. €

Das für den Schulträger verfasste Gutachten empfahl daher Szenario 3, wobei im Rahmen der politischen Beratung zum Medienentwicklungsplan von der Empfehlung abgewichen werden kann. Im Abschlussstatement hieß es:

Die Bedeutung Interaktiver Tafeln wird aus Sicht des Gutachters überschätzt. Interaktive Tafeln sind keine Reaktion auf die Anforderungen der Digitalisierung. Sie sind lediglich ein teurer funktionaler Ersatz der klassischen Tafel zzgl. Präsentationsfunktion. Die Möglichkeit digitale Inhalte zu präsentieren, um darüber im Klassenverband zu reflektieren ist zweifellos wichtig. Ob die Interaktivität dabei aber am Endgerät (Tablet o.ä.) oder an einem Großbildschirm entsteht ist eine nachrangige Frage. 

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