Digitale Medien spielen im Alltag von Kindern und Jugendlichen eine dominierende Rolle. Nahezu alle Jugendlichen (97 Prozent) besitzen ein Smartphone, mit dem sie teils mehrere Stunden täglich kommunizieren (Jim Studie 2017). Werden keine Sprachnachrichten verschickt, wird eine virtuelle Tastatur genutzt. Wird am iPad in der Schule eine Tastatur verwendet, stellt sich dennoch die Frage nach der Schriftentwicklung. Dem Problem „Handschrift und Digitalisierung“ nähern sich die Wissenschaftler des Mercator-Instituts in einer so interessanten wie aufschlussreichen Meta-Studie.
Faktencheck: Schreiben per Hand oder Tastatur?
Die intensive Nutzung digitaler Medien hat längst eine Diskussion über Vor- oder Nachteile der Handschrift im Vergleich zum Tastaturschreiben ausgelöst. Dabei wird der zunehmende Gebrauch digitaler Medien zum einen als Gefahr für die Handschrift gesehen und vor deren Aussterben gewarnt. Zum anderen wird diskutiert, dass die Lernenden die angenommenen Vorteile des Handschreibens verlieren, etwa Inhalte besser verarbeiten zu können.
Auch die Schüler selbst sind für dieses Thema sensibilisiert und geben immer wieder die Rückmeldung, dass die Nutzung des iPads in der Schule Auswirkungen auf die Handschrift habe. In allen bei uns durchgeführten Befragungen sagt allerdings die Mehrheit auch, dass sich die Handschrift durch die Nutzung des iPads nicht verschlechtere.
Von der Entweder-oder- zur Sowohl-als-auch-Planung
Auch die Faktencheck-Ergebnisse zeigen, dass es auf die Schlüsselfrage keine eindeutige Antwort gibt. Es gebe lediglich „Hinweise darauf, dass das Schreiben mit der Hand zu besseren Gedächtnisleistungen führt und sich positiv auf die Entwicklung feinmotorischer und kognitiver Fähigkeiten auswirkt“, sagt Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts.
Insbesondere schwache Handschreiber können aber auch vom Tastaturschreiben profitieren. In Untersuchungen verfassten Schüler, die Computer und Programme zur Textverarbeitung einsetzten, zum Beispiel längere, sprachlich richtigere und inhaltlich sinnvollere Texte. „Auf Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse ergibt es daher keinen Sinn, das Handschreiben und Tastaturschreiben gegeneinander auszuspielen. Anstatt die Entweder-oder-Frage zu stellen, sollten Lehrkräfte besser beide Techniken fördern und fordern“, betont Michael Becker-Mrotzek.

Die im Faktencheck zu dieser Frage einbezogenen Studien (Frahm & Blatt, 2015; Philipp, 2012; Feng et al., 2019) zeigen vor allem, dass flüssiges Schreiben, sei es mit der Hand oder der Tastatur, mit einer höheren Textqualität und größeren Textmengen einhergeht.
Soll die Handschrift in der Schule überhaupt noch vermittelt werden?
In Bezug auf diese Frage kommen die Wissenschaftler zu einem eindeutigen Ergebnis: Ja, die Handschrift sollte unbedingt weiterhin vermittelt werden.
Sie ermögliche Schreiben auf einem ökonomischen Weg, zudem spiele das Erlernen der Handschrift eine wichtige Rolle für die Entwicklung feinmotorischer und kognitiver Fertigkeiten. So würden beim Schreiben mit der Hand große Netzwerke im Gehirn aktiviert, die für das Lernen förderlich sind.
Diese Erkenntnis deckt sich auch mit den vom Neurowissenschaftler Prof. Dr. Martin Korte in einer Vortragsreihe am Theodor-Heuss-Gymnasium Göttingen herausgearbeiteten Schlüssen für das digital gestützte Lernen und Arbeiten: Auch Korte plädierte für eine Kombination beider Schriftvarianten bei stufenweiser Einführung: Die ersten Jahre deutliche Förderung der Handschrift, später dann erst Tastaturschrift und 10-Finger-Tipptechnik.
Auch kommen die Wissenschaftler zu der Erkenntnis, dass aufgrund der benötigten Feinmotorik bei der Handschrift zu vermuten ist, dass sich durch das unterschiedliche Bewegungsempfinden beim Handschreiben die Buchstabenformen nachhaltiger im Gedächtnis einprägen (van der Meer & van der Weel, 2017). Demzufolge nütze die Handschrift über eine sichere Verknüpfung von Lauten und Buchstaben dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur.
Zusammenfassend betont die Studie, dass Lehrkräfte das Schreiben mit der Hand nicht nur aus pragmatischen Gründen, wie einer unzureichenden medialen Ausstattung der Schulen (Lorenz et al., 2017), sondern als Kulturtechnik oder ökonomisches Werkzeug weiterhin vermitteln sollten. Außerdem sei es wichtig, weil das Handschreiben einen positiven Einfluss auf die kognitive Entwicklung habe, die zum Verfassen von Texten oder Notizen benötigt werde.
Erst Handschrift oder erst Tastaturschreiben?
Interessant ist, dass die Studie in Bezug auf die Frage, was denn nun zuerst zu erlernen sei – Handschrift oder Tastaturschrift – zu keiner klaren Antwort kommt. Die wenigen vorliegenden Studien kommen schlicht und einfach zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Für einen frühen Einsatz der Handschrift spreche zum einen, dass die Feinmotorik der Kinder dadurch geschult werde. Zum anderen sei es sinnvoll, die Handschrift frühzeitig einzusetzen, weil vermutet wird, dass sie einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Rechtschreibung habe – insbesondere bei der Zuordnung von Lauten und Buchstaben (van der Meer & van der Weel, 2017).
Ein weiterer interessanter Gedanke ist, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Tastaturschreiben und der Handschrift festgestellt wurde: Wer in der Lage sei, flüssig mit der Hand zu schreiben, könne dies auch meist auch gut mit der Tastatur – wenn beide Techniken erlernt worden seien (Feng et al., 2019). Demzufolge profitierten Personen, die beide Techniken beherrschten, doppelt. Deswegen sei es besonders gewinnbringend, wenn Schülerinnen und Schüler nicht entweder nur die Handschrift oder das Tastaturschreiben lernten, sondern beide Techniken.
Aus verschiedenen pädagogisch-didaktischen Erwägungen sehen wir am Theodor-Heuss-Gymnasium Göttingen sowieso von einer verfrühten Einführung von 1:1-iPads in jüngeren Jahrgängen ab und bieten in der Sek. I stattdessen iPad-Koffer zum Ausleihen. Auch Prof. Dr. Klimmt betonte in einem am THG gehaltenen Vortrag den abnehmenden Nutzen von 1:1-Tablets in den unteren Jahrgängen der Sekundarstufe I. Richten sich Schulen nach diesen Ratschlägen aus der Wissenschaft, stellt sich das Problem der Reihenfolge auch nicht in dieser Deutlichkeit – allerdings wird es durch neue technische Möglichkeiten auch weitgehend aufgehoben (was im nächsten Absatz erläutert wird).
Wie können Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht sinnvoll für das (Hand-)Schreiben nutzen?
Auch hier müssen die Wissenschaftler des Mercator Instituts darauf verweisen, dass bislang noch keine wissenschaftlich fundierten Kenntnisse über die Verbindung von Handschreiben und digitalen Medien im Unterricht vorliegen.
Klar sei aber, dass auf Basis der Ergebnisse und der zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich die Wahl zwischen Hand- und Tastaturschreiben und der Nutzung digitaler Medien im Unterricht auf Dauer keine Entweder-oder-Frage sein dürfe. Vielmehr sei es sinnvoll, wenn Lehrkräfte situationsabhängig entschieden, welche Technik für die Lerngruppe und das Lernziel am zielführendsten sei.
In Bezug auf die Nutzung von iPads in der Schule und die Handschrift zeigt sich die Lage auch etwas einfacher: Seit mit dem Apple Pencil eine hervorragende Schreibmöglichkeit auch für das häufig als Schüler-iPad genutzte Basis-iPad gegeben ist, hat sich der Gegensatz analogen und digitalen Schreibens weitgehend aufgelöst. Tatsächlich scheint sich sogar der Effekt einzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler durch die Möglichkeiten digitaler Handschrift (Überarbeiten, Weiterverarbeiten, kreatives Erweitern) zum Schreiben mit der Hand motiviert werden. Das offensichtliche Problem der Schulung der Handschrift (motorischer Bereich) sowie der Aktivierung von Denkleistung (kognitiver Bereich) durch langsamere Handschrift tritt damit in den Hintergrund.
„Faktencheck: Handschrift in der digitalisierten Welt“ zum Nachlesen
Verwendete Recherchemethoden
Dieser Faktencheck ist auf Basis eines nicht-systematischen Literaturüberblicks („Stimmt es, dass die Handschrift in einigen Staaten nicht mehr unterrichtet wird?“; „Stimmt es, dass Kinder und Jugendliche heute weniger mit der Hand schreiben als früher?“; „Soll die Handschrift in der Schule überhaupt noch vermittelt werden?“) sowie einer systematischen Bestandsaufnahme („Hat das Handschreiben Vorteile gegenüber dem Schreiben mit der Tastatur?“; „Sollten Schülerinnen und Schüler zuerst die Handschrift oder das Tastaturschreiben lernen?“; „Wie können Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht sinnvoll für das (Hand-)Schreiben nutzen?“) entstanden.
Für die systematische Bestandsaufnahme wurden strukturierte Abfragen in den Datenbanken FIS-Bildung, ERIC, Scopus, PSYNDEX und ToCPremier sowie per Handsuche und Schneeball-Prinzip durchgeführt. Von den insgesamt 169 ermittelten Dokumenten wurden 22 relevante mittels eines mehrstufigen Auswahlverfahrens identifiziert. Insgesamt sind mit Einbezug des nicht-systematischen Literaturüberblicks (17) und abzüglich von Dublikaten (4) insgesamt 35 Dokumente in den Faktencheck eingeschlossen.
Die Suchstrategie, das Auswahlverfahren der Dokumente sowie alle bibliografischen Informationen können hier eingesehen und heruntergeladen werden.
Literaturangaben sowie weitere Informationen finden sich auf der Website des Mercator-Instituts der Uni Köln.
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