Nach einer Woche Schulschließungen ist klar: Die Lehrer sind es nicht, an denen die Digitalisierung der Bildung scheitern wird. Bemerkenswert schnell haben die Pädagogen überall im Land reagiert, ihren Schülern Zugänge eingerichtet in Leseportalen und Mathetraining-Websites. Sie haben ihnen Aufgaben hochgeladen und an die Eltern Lernpläne verschickt.
Nach einer Woche Schulschließung ist aber auch klar: In den meisten Ländern hat die Digitalpolitik der Kultusministerien versagt. Lange vor der Krise. Doch jetzt wird es umso schmerzlicher bewusst.

Gastbeitrag von Dr. Jan-Martin Wiarda
Zur Person: Journalist, Politikwissenschaftler, Volkswirt. Studium in München und Chapel Hill (USA). Redakteursausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Autor für die Süddeutsche Zeitung, Brand Eins, die Financial Times Deutschland, Tagesspiegel und andere. Acht Jahre Redakteur in Hamburg bei der ZEIT im Bildungsressort „Chancen“. Drei Jahre Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft. Seit 2015 freier Journalist, Autor, Moderator.
Bayerns staatliche Online-Lernplattform „mebis“ wurde Anfang der Woche gleich mal gehackt, Bremens Schulnetzwerk „itslearning“ ging angesichts des Ansturms zeitweise in die Knie. Doch immerhin hatten die beiden Länder etwas, das in die Knie gehen konnte. Immerhin haben Bayern und Bremen es relativ schnell geschafft, die IT-Probleme zu beseitigen. Viel schlimmer ist, dass in den meisten Bundesländern im Jahr 2020 keinerlei flächendeckende, vom Kultusministerium eingerichtete datenschutzsichere Lernplattform existiert. Baden-Württemberg etwa hat mit der jahrelangen, millionenteuren Entwicklung von „ella“ Schiffbruch erlitten. NRWs „Logineo“ kam nach jahrelangen Pannen und Verzögerungen – und hat bislang nur einen Bruchteil der Schulen erreicht.
Lernen mit WhatsApp und Facebook
Weil die Kultusminister in der Mehrzahl der Bundesländer die Digitalisierung des Lernens verpennt oder – noch schlimmer – bislang nicht hinbekommen haben, zwingen sie jetzt in der Krise ihre Lehrkräfte zu datenschutzrechtlichen Verstößen. Die meisten der an die Eltern verschickten Lernpläne kommen von den privaten Mailadressen der Lehrer, die Kommunikation mit den Schülern läuft vielerorts über WhatsApp oder Facebook. Die eilig eingerichteten Zugänge zu Online-Lernmaterialien gehen über die Seiten kommerzieller Anbieter – deren Umgang mit den Schülerdaten? Oftmals unklar. Doch die Bildungspolitik lässt die Lehrer hängen. Tut so, als ob sie nicht merkt, was an den Schulen gerade passiert.
Aufrichtiger ist da der Weg, den Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) geht. Per Rundschreiben hat sie ihren Schulen in der Krise die Nutzung von cloudgestützten Office-Produkten oder „datenschutzfreundlichen Messengerdiensten“ freistellt. Womit Eisenmann zugleich die politische Verantwortung übernimmt für die datenschutzrechtlichen Graubereiche, die sich daraus zwangsläufig ergeben. Weil es nicht anders geht. Und weil es nicht angeht, die Lehrer auf der Verantwortung sitzen zu lassen.
Doch viele andere Kultusminister tun genau das – während die Lehrkräfte in einem digitalen Kraftakt nutzen, was die Schüler irgendwie weiterbringt in dieser Situation. Peinlich ist das. Für die Bildungspolitik.
Die Lehre reicht über die Krise hinaus: Die Bildungspolitiker sollten es endlich lassen mit den selbst in Auftrag gegebenen Plattform-Lösungen, die datenschutzrechlich sicher, technisch perfekt und pädagogisch innovativ werden sollen. Die seit Jahren versprochen werden und kaum mal irgendwo klappen. Und selbst wenn: Der personelle Aufwand für Wartung, Betrieb und Support enorm.
Statt bildungspolitischem Stolz und dem Festhalten an teuer-fragwürdigen Pilotprojekten ist jetzt in der Krise und dann auf Dauer Pragmatismus angesagt. Denn es gibt sichere kommerzielle Lösungen da draußen. Man muss allerdings auch die politische Konsequenz haben, sie zu nutzen. Bremen hat das getan. Das Schulnetzwerk „itslearning“ stammt von einem norwegischen Anbieter. Der hat Anfang der Woche, als der Ansturm kam und kurz nix mehr ging, zusätzliche Server freigeschaltet. Seitdem, ist zu hören, läuft das Online-Lernen in Bremen wieder. Viele Lehrer nutzen es zum ersten Mal. Und alles ganz legal.