
Stefan Muhle, Staatssekretär
Im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung verantwortet Stefan Muhle die Erarbeitung eines Masterplans Digitalisierung und den Aufbau einer Koordinierungsstelle Digitalisierung. Ziel: Bis 2022 die flächendeckende Versorgung Niedersachsens mit Breitband-Internet, die Beschleunigung der Digitalisierungsprozesse in der Gesellschaft und die digitale Professionalisierung der Landesverwaltung Niedersachsen. Die Digitalisierung des Bildungswesens ist ihm ein Kernanliegen.
Niedersachsens Schulen sind in diesen Tagen Orte, an denen sich ablesen und messen lässt, ob Politik und Verwaltung tatsächlich aus den letzten zwei Corona-Jahren gelernt haben. Wie viele andere BürgerInnen auch habe ich in den zurückliegenden Monaten so manchen sagen hören: „Die Corona Krise hat uns vor Augen geführt“ – „Corona hat uns lernen lassen“ – „Die Pandemie hat Handlungsnotwendigkeiten aufgezeigt“. Gerade aus der Politik sind mir viele Reden aufgefallen, die einem das Gefühl geben: wir haben gesehen, wir haben daraus gelernt und haben entsprechend gehandelt. Dieses Gefühl sehe ich in der Realität allerdings nicht bestätigt. Gerade auch in unseren Schulen nicht. Mehr denn je, so ist mein Eindruck, sind es die Schulgemeinschaften, sind es LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern samt schulischem Umfeld, die den Laden am Laufen halten. Die sich dafür einsetzen, dass die Corona-Jahre keine völlig verlorenen Jahre für die jungen Menschen sind. Ich bin persönlich begeistert, wieviel individuelles Engagement gerade jetzt die Schulen trägt.
Es wird höchste Zeit, dass auch die „große Politik“ ihre Wertschätzung für die Schulgemeinschaften im Land zum Ausdruck bringt. Wertschätzung heißt für mich konkret in diesem Fall: dauerhaft die Finanzierung von Modernisierungs- und Digitalisierungsprozessen an allen Bildungseinrichtungen sicherzustellen, mit klaren Vorgaben und Regeln Ballast von Schulen und insbesondere Schulleitungen zu nehmen und vor allem mit viel mehr Vertrauen Prozesse zu beschleunigen, zu vereinfachen und effizienter zu gestalten.
Als Staatssekretär für Digitalisierung in Niedersachsen bin ich in Bildungssachen (lediglich) verantwortlich für die Versorgung aller Schulen mit schnellem Internet. Natürlich müssen das die Schulträger anschieben, die Landkreise bzw. kreisfreien Städte mit entsprechenden Förderanträgen initiieren. Aber ich habe mit der Überzeugung, dass Politik Managementaufgabe ist, dafür zu sorgen, dass alle Schulen mitgenommen werden und dass die Prozesse so schlank wie möglich sind. Das Ziel, alle Schulen in Niedersachsen an das schnelle Internet anzuschließen, war eine der wesentlichen Maßnahmen, die ich bei einer Tagung mit LehrerInnen in Loccum 2020 formulierte. Anfang dieses Jahres sage ich mit einem gewissen Stolz, dass wir dieses Ziel nahezu erreicht haben. Von den über 3.500 Schulen in Niedersachsen haben wir 64% bereits mit gigafähigen Anschlüssen versorgt, weitere 32% erhalten gerade den entsprechenden Anschluss. Mit einer Quote von 96% in kürzester Zeit können wir uns in Niedersachsen sehen lassen.
Aber ich hatte, ohne dass Corona bereits eine Rolle spielte, weitere Maßnahmen formuliert, um die Schulen für das digitale Zeitalter zu wappnen.
Bereits 2020 durfte man sich ja fragen, warum es dieser Zielsetzungen überhaupt bedarf, warum das alles nicht schon längst umgesetzt, zumindest aber angeschoben worden war? Ich habe bis heute nicht das Gefühl, dass in der Kultusbürokratie an den Bedarfen der Schulen orientiert Ziele und Zeitpläne formuliert werden. Politik ist Managementaufgabe. Das bedeutet für mich, dass allein die Formulierung eines politischen Ziels nicht reicht, es bedarf des Kümmerns, des Nachhakens und des Forcierens der notwendigen Prozesse. Auch persönlich, als Ministerin oder als Staatssekretär. Alle von mir vor zwei Jahren formulierten Maßnahmen sind nach meiner Einschätzung weiter prioritär. Das gilt insbesondere auch für die Notwendigkeit, staatlicherseits den Schulen wesentliche Datenschutzthemen abzunehmen. Dafür braucht es sogenannte white lists, die den Schulen sagen, was sie datenschutztechnisch dürfen und zwar auch dauerhaft. Das gibt Planungssicherheit und entlastet Schulen von Aufgaben, für die sie keine Zeit und Kompetenz haben. Klare Regeln, mutige und nachhaltige Entscheidungen und immer auch einen gewissen Spielraum für individuelle Lösungen – damit kann die Kultusbürokratie Schulen enorm entlasten und Leitungsaufgaben auch wieder interessanter machen.
Der Digitalpakt funktioniert vor allem deshalb in der Praxis nicht, weil er ein Pakt des Misstrauens ist.
Stefan Muhle
Daneben braucht es aber vor allem Vertrauen. Und zwar sehr viel mehr Vertrauen. Vertrauen des Landes in seine LehrerInnen, in seine Beamten und Beamtinnen. Es braucht mehr Vertrauen des Landes in die Kommunen als Schulträger und Vertrauen der Schulträger in seine Schulen. Was könnten wir Ressourcen sparen, wenn wir mit mehr Vertrauen arbeiten würden? Der Digitalpakt funktioniert vor allem deshalb in der Praxis nicht, weil er ein Pakt des Misstrauens ist. Erst müssen Konzepte geschrieben, dann geprüft (von wem eigentlich und mit welcher Kompetenz?) und gegebenenfalls nachgearbeitet werden. Dann werden lange Anträge geschrieben, die wieder geprüft, nachgebessert und dann entschieden werden. Bis dann das Geld endlich an den digital darbenden Schulen angekommen ist, haben mehrere Jahrgänge die Schule verlassen. Das kann es heute nicht mehr sein. Eine der großen Herausforderung unserer Zeit ist es, Pfade zu verlassen. Ich sehe hier einen entscheidenden Hebel für schulische Prozesse. Mehr Vertrauen auf allen Ebenen gegenüber den Schulgemeinschaften bedeutet schnellere Digitalisierung, effektivere Arbeit und Entlastung von unnötigem Ballast. Konkret: das Geld gehört direkt in die Schulen, was damit gemacht wurde, wird zwei Jahre später stichprobenartig kontrolliert.
Konkret: das Geld gehört direkt in die Schulen, was damit gemacht wurde, wird zwei Jahre später stichprobenartig kontrolliert.
Stefan Muhle
In dieser Linie bestätigt mich auch Dr. Florian Hartleb, Autor des Buches „Plädoyer für den digitalen Staat“. Er gibt in seinem Buch die Überzeugungen des früheren estnischen Bildungsministers Jaak Aaviksoo wider, der in den 90er Jahren den sogenannten digitalen Tigersprung der Schulen in Estland verantwortete. Er schreibt, dass für Aavisksoo die folgenden Prinzipien strukturbildend gewesen seien:
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- Vertraue den Lehrerinnen und Lehrern.
- Sei offen für verschiedene Hard- und Software-Plattformen.
- Baue Netzwerke.
- Vermeide administrative und finanzielle Belastungen.
- Unterstütze Wettbewerb und konstruktive Konkurrenz.
Wenn doch jetzt auch unsere Kultusbürokratien und KultusministerInnen Lust auf diesen Tigersprung hätten! Wenn sie den Verantwortungsträgern in den Schulen nicht nur unsere Kinder anvertrauen, sondern auch zutrauen würden, über Budgets und Digitalisierungspläne für die jeweilige Schule verantwortungsvoll zu entscheiden! Nur so wird es gehen! Es wird höchste Zeit für mehr Vertrauen! Ich habe es.