Unterschiedliche Modelle unterstützen Schulen und Lehrpersonen bei der Entwicklung digitaler Lehr-Lernkonzepte, bieten dabei aber Orientierung in Bezug auf ganz unterschiedliche Perspektiven auf Lehren und Lernen. In einem umfassenden Blogbeitrag habe ich bereits mit dem SAMR-, dem 4K- und dem MiLd-Modell drei wichtige und häufig verwendete, aber ebenso diskussionswürdige Modelle vorgestellt.

Drei Modelle für Unterrichtsentwicklung unter den Bedingungen der Digitalität

    • Das sehr bekannte SAMR-Modell legt den Fokus auf den Einsatz von Lerntechnologie und erläutert anhand vier definierter Stufen die Veränderung von Unterricht.
    • Das 4K-Modell fokussiert insbesondere die Frage des Kompetenzerwerbs angesichts neuer globaler Herausforderungen mit klarem Schülerbezug.
    • Das MiLd-Modell unterstützt Lehrpersonen bei der Planung digital gestützter Lehr-Lernprozesse und bietet konkrete Hinweise bzgl. möglicher Anwendungen.

Das TPACK Modell

Das Technological Pedagogical Content Knowledge–Modell (TPACK) strukturiert die Unterrichtsplanung und Unterrichtsentwicklung anhand dreier für schulische Lehr-Lernprozesse relevanter Wissensbereiche: 

    • technologisches Wissen (technological knowledge – TK)

Das Wissen über digitale Technologien, deren Funktionen und Nutzung für die eigene Arbeit. 

    • pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge – PK)

Wissen über Lehr-Lern-Prozesse (Lerntheorien, Lernmethoden, Erarbeitungsmethoden, Bewertungsmethoden) aber auch das Verständnis von Lehr-Lernprozessen, also die Frage, wie die Schüler lernen und wie sie zu motivieren sind, aber auch Unterrichtsinhalte lerngruppenspezifisch zu gestalten und attraktiv sowie anschaulich zu vermitteln.

    • inhaltliches Wissen (content knowledge – CK)

Wissen über Fachinhalte, deren Struktur und Zusammenhänge.

Gerade in Zeiten digitaler Transformation zeigen die Schnittstellen dieser drei Bereiche Herausforderungen und Chancen für (digitale) Lehr-Lernprozesse auf, denn die Kombination aller drei Wissensbereiche ist laut TPACK-Modell Grundvoraussetzung für konsistente Lehr-Lernprozesse unter den Bedingungen der Digitalität. 

Leicht ließe sich mit dem TPACK-Modell erläutern, welche Auswirkungen es auf die didaktische Planung und den Unterricht hätte, wenn unter heutigen Bedingungen einer dieser Bereiche (mangels Kenntnis oder Interesse) vernachlässigt oder nicht berücksichtigt werden würde. Neu ist dabei lediglich, dass nun explizit die technische Komponente, bislang nicht zwangsläufig zentraler Gegenstand didaktischer Modelle, zum integralen Bestandteil didaktischer Planung wird. Ein neues Element, das aber auch zu Widerspruch aus fachdidaktischer Perspektive führt (s. Kommentar unten).

TPACK Modell - Unterricht und Digitalisierung

Das TPACK Modell in der Praxis: Schulentwicklung – Personalentwicklung – Unterrichtsentwicklung

Zwar verwendet das Modell auf den ersten Blick vielleicht eher sperrige und abschreckende Begrifflichkeiten, doch schon der zweite Blick verdeutlicht das zugrunde liegende Potential:

    • Die Zusammenführung unterschiedlicher Gebiete professionellen Wissens zur Unterrichtsplanung und Unterrichtsentwicklung,
    • eine Perspektive, die sich einerseits unmittelbar auf die Lernenden und deren Weiterentwicklung bezieht, 
    • andererseits aber auch deutlich Bereiche professioneller Entwicklung seitens der Lehrpersonen aufzeigt und definieren hilft,
    • und dabei betont, dass die Fokussierung auf technologisches Wissen (wie im Fach Informatik bislang zentraler Lerngegenstand) nicht ausreicht, sondern es heute und zukünftig auf die Schnittmenge des technologisch-pädagogischen Inhaltswissens ankommt.

Insbesondere für die Fortbildungsarbeit in Kollegien, die sich aktiv mit (digitaler) Unterrichtsentwicklung auseinandersetzen, ist das TPACK-Modell hilfreich. Denn es ermöglicht präzise

    • neue Anforderungen an Lehrpersonen zu benennen, die sich im Rahmen der digitalen Transformation ergeben,
    • konkrete Planungsschritte für Unterricht unter Berücksichtigung aller TPACK-Dimensionen zu berücksichtigen,
    • den Fortbildungsbedarf für Kollegien – bspw. im Rahmen einer SWOT-Analyse – genauer zu diagnostizieren und zu definieren
    • und dabei von Beginn an Unterrichtsentwicklung integriert zu denken.

Kritik am TPACK Modell

Doch so einleuchtend das Modell auf der schulpraktischen Ebene erscheinen mag: Wie auch das SAMR-Modell zieht das TPACK-Modell Kritik aus pädagogisch-didaktischer Perspektive auf sich. Ein kurzer Hintergrund-Exkurs – entstanden im kollegial-kritischen Austausch im #twitterlehrerzimmer – der dazu anregt, Modelle genau zu prüfen und sich der jeweils zu nutzenden Anwendungsebenen sehr bewusst zu sein. Vielen Dank an Dr. Robin Schmidt für die folgenden Hinweise, die weit über die in der Schulpraxis häufig übliche – praktisch und meist wenig kritisch orientierte – Anwendung des Modells hinausgehen.


TPACK Modell: Zu eng und zu weit zugleich – Kommentar Dr. Robin Schmidt

In seiner Anknüpfung an die Taxonomie professioneller Kompetenz von Shulman (1986) bietet das TPACK-Konstrukt bietet einen theoretischen Anschluss an die Forschungen zu einer ICT-Professionalisierung von Lehrpersonen einerseits und an die Forschungen zu den spezifischen Anforderungen des schulischen ICT-Einsatzes andererseits. TPACK meint ursprünglich (Koehler/Mishra 2009) eine Verschränkung und aktive Synthese von Wissen und Können, das Lehrpersonen erlaubt, in jeder Lehr-Lernsituation eine situative Neukombination von Aspekten technologischen, pädagogischen und fachwissenschaftlichen Wissens zu bilden und auf dieser Grundlage kontextbezogen und effektiv mit ICT zu unterrichten. Entsprechend gibt es auch keine singuläre technologische Lösung für jede Lehrperson und Lehrsituation (Koehler/Mishra 2009: 66 ff). TPACK ist also ursprünglich kein normatives Modell des Können-Sollens, sondern eine konzeptuelle Synthese von Kompetenzen, die es Lehrpersonen tatsächlich erlaubt, die komplexen, jeweils verschiedenen Anforderungen von Unterricht im Hinblick auf die digitale Transformation zu bewältigen.

Inzwischen hat sich ein eigener Forschungszweig um dieses Modell etabliert; ein eigenes Handbuch zur Forschung erscheint bereits 2008, in zweiter Auflage 2016, das die weite Verbreitung und den heterogenen Diskurs um das TPACK-Konstrukt markiert (Herring/Koehler/Mishra 2016). Der rasche Erfolg und die breite Akzeptanz des TPACK-Modells ist aber eher auf seine einfache Modellierung, als auf die komplexere Theorie, die es zum Ausdruck bringt, zurückzuführen. TPACK bietet nunmehr heute eher ein „Label“ für einen Diskurs, unter dem die spezifischen Probleme diskutiert werden können, die damit verbunden sind, angehende Lehrpersonen darauf vorzubereiten, mit ICT zu unterrichten (Brantley-Dias/Ertmer 2013: 103 ff).

Studien zeigen, wie höchst heterogen das Label verstanden wird, eindimensional operationalisiert und disparat in seiner Auslegung, den Methoden und Anwendungen erscheint (Koehler/Shin/Mishra 2012, Voogt et al. 2013, Rosenberg/Koehler 2015, Willermark 2018). 

Im Vordergrund stehen Instrumente, die Lerneffekte in der Ausbildung zu erfassen versuchen (Martin 2015, Hofer/Grandgenett 2012, Abbitt 2011, Bos et al. 2016). Meist geschieht dies jedoch durch Selbstauskünfte von Lehrpersonen und so wird einerseits in Erhebungsinstrumenten der spezifisch professionstheoretische Ansatz mit der Frage nach tatsächlicher Handlungskompetenz zum unterrichtlichen ICT-Einsatz und andererseits die fachlich-fachdidaktische Seite des Konstrukts fast nie operationalisiert. Im Hinblick auf Fragen der Professionalisierung von Lehrpersonen kann das meist durch Selbstauskünfte vermessene TPACK jedoch als reliabler Indikator für subjektive Einstellungen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Beliefs im Hinblick auf schulischen ICT-Einsatz gelten (Tondeur et al. 2017). 

Die eilige und eigenwillige Adaption des Konstrukts für die je eigenen Forschungsansätze und Nutzungen hat das Potential eines weiterführenden integrierenden Ansatzes, der in der professionstheoretischen Fundierung von TPACK liegt, in die Ferne rücken lassen. 

TPACK kann unter diesen Vorzeichen als ein Übergangskonstrukt und anschauliches Modell verstanden werden, das geeignet erscheint, die Frage nach Lehren und Lernen mit ICT einfach zu vermitteln und ihr (forschungs-)politisch Geltung zu verschaffen. 

Bei genauerer Untersuchung löst sich das scheinbar einfache Konstrukt in dreifacher Hinsicht in seinen Konturen auf: 

    • Diese Auflösung erscheint einerseits, wenn, wie oben dargestellt, die angewendeten methodischen Ansätze, Instrumente und Rezeptionsweisen verglichen werden, es ist kein konzises Modell, sondern ein Label, das pragmatisch zu je eigenen Zwecken adaptiert wird. 
    • Zweitens lösen sich die Konturen des Konstrukts auf, wenn die Ergebnisse empirischer Untersuchungen genauer berücksichtigt werden: denn das vermessene TPACK verweist zu einem grossen Teil einerseits auf Faktoren wie Kontext, technologisches Vorwissen, Alter, pädagogischen Einstellungen und Beliefs und repliziert damit im Prinzip frühere Ergebnisse anderer Studien mit anderem theoretischem Hintergrund. Andererseits verweisen empirische Befunde auf die spezifischen Anforderungen, die durch die didaktische Struktur der verschiedenen Fächer sowie die spezifischen Mediennutzungen im Rahmen eines Faches auftreten sollten. Diese werden aber nicht erfasst, weil durch das Forschungsdesign nur fachunspezifische ICT-Nutzungen erhoben werden.
    • Wenn die genuine Struktur von TPACK sich aber jeweils aus dem spezifisch fachdidaktischen Professionswissen ableitet, kann infrage gestellt werden, ob sich ICT als Unterrichts-Medien und -Tools überhaupt von traditionalen Medien und Tools so fundamental unterscheiden, dass es berechtigt wäre, wegen ICT von einer eigenen Kategorie professionellen Wissens zu sprechen. Im Vergleich zu der Bedeutung der anderen Kategorien von PK (pädagogischem Professionswissen), CK (fachwissenschaftlichem Professionswissen) und PCK (fachdidaktischem Professionswissen) erscheint es dann als eine relative Überdimensionierung, ein eigenes Technologisches Wissen auf derselben Ebene wie diese anzusiedeln. In ICT den Grund für zur Bildung einer eigenen Kategorie professionellen Wissens zu sehen erscheint so eher unangemessen und erklärt sich eher aus der Einschätzung der fundamentalen gesellschaftlichen Bedeutung und der geringen Beachtung in der schulischen Praxis als aus professionstheoretischen Gründen. Eine weiter zunehmende Normalisierung und Ubiquität von ICT wird diese wahrgenommene Besonderheit jedoch zunehmend auflösen (post-digitale Perspektive, (Schmidt 2020b). Dies wäre die dritte Dimension der Auflösung des TPACK-Konstrukts: dass es eher durch die gegenwärtige Wahrnehmung der Neuheit und Besonderheit von ICT, also durch die situative Bedeutungszuschreibung, als durch eine systematische professionstheoretische Bedeutung von ICT geformt erscheint. In einer Welt ubiquitärer digitaler Tools würden diese Anforderungen einfach als Teil von PK, CK und PCK zu konzeptualisieren sein.

Eine Analyse der spezifischen fachdidaktischen Erfordernisse an eine ICT-Professionalisierung macht darüber hinaus deutlich (Kapitel 3.5 in Schmidt 2020a: 85 ff), dass die allgemeine Konzeptualisierung des fachlichen Anteils im TPACK-Konstrukt die spezifische Struktur des im Fach geforderten Wissens nicht adäquat abbildet.

So erscheint das TPACK-Konzept zu eng und zu weit: es erscheint zu spezifisch, um die veränderten Anforderungen in den verschiedenen Bereichen des fachdidaktisch relevanten Wissens aufzunehmen und zu allgemein im aktuellen Gebrauch in der Forschung, um vergleichbare empirische Ergebnisse zu produzieren.

Genaueres und ausführlicher dazu: (Kapitel 3.4 in: Schmidt 2020a S. 73ff) (Open Access hier)


Dr. phil. Robin Schmidt ist Erziehungswissenschaftler und forscht zu Fragen der Lehrer*innenbildung in der digitalen Transformation an der Pädagogischen Hochschule FHNW, Schweiz. Daneben ist er als Dozent und als Berater tätig (siehe http://linefeed.cc). Mehr: Dr. Robin Schmidt – Kontakt via Twitter: @_robinschmidt


Literatur: 

Abbitt, Jason T. (2011): Measuring Technological Pedagogical Content Knowledge in Preservice Teacher Education. In: Journal of Research on Technology in Education 43/4 (Juni). S. 281–300. doi:10.1080/15391523.2011.10782573.

Bos, Wilfried; Lorenz, Ramona; Endberg, Manuela; Eickelmann, Birgit; Kammerl, Rudolf und Welling, Stefan (2016): Schule digital – der Länderindikator 2016 : Kompetenzen von Lehrpersonen der Sekundarstufe I im Umgang mit digitalen Medien im Bundesländervergleich. 1. Auflage, neue Ausgabe Aufl. Münster: Waxmann.

Brantley-Dias, Laurie und Ertmer, Peggy A. (2013): Goldilocks and TPACK. In: Journal of Research on Technology in Education 46/2 (Dezember). S. 103–128. doi:10.1080/15391523.2013.10782615.

Herring, Mary C.; Koehler, Matthew J. und Mishra, Punya (Hrsg.) (2016): Handbook of Technological Pedagogical Content Knowledge (TPACK) for Educators. New York, London: Routledge. [http://www.tandfebooks.com/doi/book/10.4324/9781315771328; 15.3.2017].

Hofer, Mark und Grandgenett, Neal (2012): TPACK Development in Teacher Education. In: Journal of Research on Technology in Education 45/1 (September). S. 83–106. doi:10.1080/15391523.2012.10782598.

Koehler, Matthew J.; Shin, Tae Seob und Mishra, Punya (2012): How do we measure TPACK? Let me count the ways. In: Ronau, Robert N.; Rakes, Christopher R. und Niess, Margaret L. (Hrsg.): Educational technology, teacher knowledge, and classroom impact: A research handbook on frameworks and approaches. IGI Global. S. 16–31.

Koehler, Matthew und Mishra, Punya (2009): What is Technological Pedagogical Content Knowledge (TPACK)? In: Contemporary Issues in Technology and Teacher Education 9/1 (März). S. 60–70.

Martin, Barbara (2015): Successful Implementation of TPACK in Teacher Preparation Programs. In: International Journal on Integrating Technology in Education 4/1 (März). S. 17–26. doi:10.5121/ijite.2015.4102.

Rosenberg, Joshua M. und Koehler, Matthew J. (2015): Context and Technological Pedagogical Content Knowledge (TPACK): A Systematic Review. In: Journal of Research on Technology in Education 47/3 (Juli). S. 186–210. doi:10.1080/15391523.2015.1052663.

Schmidt, Robin (2020a): ICT-Professionalisierung und ICT-Beliefs, Professionalisierung angehender Lehrpersonen in der digitalen Transformation und ihre berufsbezogenen Überzeugungen über digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). Basel: Universität Basel. [http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_13581; 16.6.2020].

Schmidt, Robin (2020b): Post-digitale Bildung. In: Demantowsky, Marko; te Wildt, Bert; Lauer, Gerhard und Schmidt, Robin (Hrsg.): Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen? Einwürfe und Provokationen. Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg. S. 57–68. doi:10.1515/9783110673265-005. [https://www.degruyter.com/view/book/9783110673265/10.1515/9783110673265-005.xml; 9.6.2020].

Shulman, Lee S. (1986): Those Who Understand: Knowledge Growth in Teaching. In: Educational Researcher 15/2 (Februar). S. 4–14. doi:10.3102/0013189X015002004.

Tondeur, Jo; Scherer, Ronny; Siddiq, Fazilat und Baran, Evrim (2017): A comprehensive investigation of TPACK within pre-service teachers’ ICT profiles: Mind the gap! In: Australasian Journal of Educational Technology 33/3 (Juli). doi:10.14742/ajet.3504. [https://ajet.org.au/index.php/AJET/article/view/3504; 27.9.2017].

Voogt, Joke; Fisser, Petra; Pareja Roblin, Natalie; Tondeur, Jo und van Braak, Johan (2013): Technological pedagogical content knowledge–a review of the literature. In: Journal of computer assisted learning 29/2. S. 109–121.

Willermark, Sara (2018): Technological Pedagogical and Content Knowledge: A Review of Empirical Studies Published From 2011 to 2016. In: Journal of Educational Computing Research 56/3 (Juni). S. 315–343. doi:10.1177/0735633117713114.

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