Im Deutschlandfunk wurden am 08. März zwei interessante Interviews zur Digitalisierung an Schulen gesendet:
„Wenn Kinder nur noch wischen, haben sie einen großen Nachteil“
Der aus Funk und Fernsehen bekannte Psychiater und Hochschullehrer Prof. Dr. Manfred Spitzer hat einmal mehr zu einem Rundumschlag gegen die Nutzung digitaler Medien im Kindesalter ausgeholt. Dass Tablets in Bildungseinrichtungen ausgegeben werden, sei ein Skandal, sagte Spitzer im Deutschlandfunk. Seine bekannten Argumente: Smartphones (und damit vermutlich auch Tablets) bewirkten Diabetes, Schlafstörungen, hohen Blutdruck und Depressionen bei Kindern, WLan im Klassenzimmer mache gar ganz konkret messbar die Leistung schlechter. Letztlich tue man den Schülern keinen Gefallen, was ihre Gesundheit und Bildung anbelangt, wenn Bildungseinrichtungen digitalisiert würden. Alles andere sei „postfaktische Bildungspolitik“.
Den Beitrag in voller Länge können Sie direkt hier hören:
⇒ Hier zum Originalbeitrag mit Transkript des Interviews.
„Jede Schwarz- oder Weißmalerei ist da fehl am Platz“
Dem widerspricht der Psychologe und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Markus Appel in einer Replik. „Computer und Tablets haben sehr wohl etwas im Unterricht zu suchen – aber es kommt eben drauf an, was man damit macht“, so der Medienwissenschaftler Markus Appel im Dlf. Die Frage nach deren Einfluss im Klassenzimmer dürfe nicht einseitig beantwortet werden – das verschleiere die Herausforderungen. Entscheidend seien inhaltlich stimmige didaktische Konzepte, die dann auch in Studien durchweg positive Ergebnisse zeigen würden. Die Schwarz-Weiß-Malerei á la Spitzer mit angeblich exakten Zahlen sei daher mit Vorsicht zu genießen und gebe in ihrer Unausgewogenheit keinesfalls den wissenschaftlichen Forschungsstand wider.
Den Beitrag in voller Länge können Sie direkt hier hören:
⇒ Hier zum Originalbeitrag mit Transkript des Interviews.
Kurze persönliche Anmerkung ganz außerhalb der inhaltlichen Diskussion:
Ein bezeichnendes Licht auf die Argumentationsweise Spitzers wirft seine Behauptung im Interview, eine Meta-Studie mit positiven Ergebnissen zur Nutzung von Tablets im Unterricht (durch die TU München) würde schlicht nicht existieren:
„Es gibt keine Studie, wirklich keine – und es wird immer behauptet; wenn man dann aber nachfragt, wo ist denn die Studie, dann ist die nicht da. Erst neulich hat die TU München eine große Studie vermeintlich publiziert. Da hat sich die FAZ und die NZZ drauf bezogen.
Ich habe dann, weil mich das sehr interessiert, nachgehakt: Die Studie gibt es nicht! Die ist noch gar nicht publiziert! Und wenn, dann würde ich sie mal sehr kritisch lesen wollen. Aber das kann man nicht, solange es sie nicht gibt.“ (Manfred Spitzer, 08.03.2018 im Dlf)
Bei der Untersuchung, auf die Prof. Spitzer anspielt, handelt es sich um die Studie „Digitale Medien im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe. Einsatzmöglichkeiten, Umsetzung und Wirksamkeit.“: Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) hatte im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) und unter Leitung von Prof. Dr. Kristina Reiss 79 Studien ausgewertet, die seit 2000 weltweit erschienen sind. Die Metastudie wurde dann am 12.12.2017 auf der Tagung „Bildungsforschung, Politik und Schule im Diskurs“ in Berlin vorgestellt. Die Ergebnisse können in dem Beitrag „Große Metastudie zur Wirkung digitaler Medien in der Schule. Erfolgreicher Unterricht ist digital – aber nicht ausschließlich“ nachgelesen, die vollständige Broschüre auch heruntergeladen werden. Die wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse ist in Vorbereitung [Abrufdatum: 09.03.18]. Verwunderlich ist, dass Spitzer trotz seiner teils sehr konkreten und interessanten Forschungsvorhaben auf solche, in seinen eigenen Worten „postfaktischen“, Behauptungen angewiesen ist, die sich mittels kurzer Recherche leicht entkräften lassen.
Dennoch bleibt zu konstatieren: Die Mahnungen Spitzers sollten bei der Planung von Tabletkonzepten in den Schulen ebenfalls mit einbezogen werden. Die berechtigten Bedenken von Eltern und Kolleginnen und Kollegen sollten aber sachlich und differenziert angegangen werden – Polemik und einseitige Panikmache führen angesichts der von der Politik vorgegebenen Leitlinien zu wenig konstruktiver Mitgestaltung der rasanten Entwicklungen in diesem Bereich.
Aktualisierung: 09.03.2018
Eine weitere Stellungnahme zu den Äußerungen Spitzers wurde heute im Deutschlandfunk veröffentlicht. Es äußert sich Nicola Beer, bildungspolitische Sprecherin der FDP.
Heute, 12.03.2018 14.00 Uhr:
„Die wissenschaftliche Publikation der Studie ist in Vorbereitung.“
Nachzulesen auf der oben zitierten Homepage des ZIB an der TUM.
Ergo hatte Prof. Spitzer wohl doch recht, denn wenn etwas noch nicht publiziert wurde, ist es noch nicht publiziert und damit auch nicht nachprüfbar und kritisierbar.
Früher nannte man sowas ungelegte Eier und damit sollte man nicht argumentieren.