Warum Evaluation und Feedback im Rahmen von Schulentwicklung?
Eine zentrale Beobachtung im Bereich der Schulentwicklung ist, dass Schulen ihre Entwicklungskonzepte zumeist selbst erarbeiten und auf eigene Realisierungsstrategien vertrauen (müssen). Dies gilt unter den Bedingungen des digitalen Wandels mehr denn je. Mit anderen Worten: Schulen müssen lernen und lernfähig werden, um Herausforderungen selbst lösen zu können.
Dafür sollte innerhalb der Schulgemeinschaft ein gemeinsames Verständnis dafür bestehen, dass Einzelschulen nicht einfach nur Einrichtungen sind, in denen Schülerinnen und Schüler lernen, sondern dass auch die Schule selbst zum Lernen fähig ist, dass Bildungseinrichtungen grundsätzlich zum Lernen fähig sind. So wie Prof. Michael Fullan das Credo vom „Lehrer als Lerner“ geprägt hat, verfügen auch Schulen über Lernfelder: Eine sich bewusst entwickelnde Schule gestaltet nach dem Schulentwickler Prof. Hans-Günter Rolff ihr Schulcurriculum, setzt Prioritäten für Entwicklungsvorhaben, konstituiert Teams und ein eigenes Projektmanagement, beurteilt letztlich auch die Wirkung neuer Prozesse und diagnostiziert offen Stärken sowie Schwächen (Rolff 2016, S. 12 ff.).

Rolff konkretisiert, dass sich die Methoden und Werkzeuge einer Lernenden Schule zumeist auf die Bereiche der Selbstreflexion und Selbstorganisation beziehen. Während zur Selbstorganisation häufig bereits etablierte Methoden wie Bestandsanalysen (bspw. SWOT-Analyse) und Diagnosen, Prioritätensetzung und Projektmanagement oder auch aktive Budgetgestaltung (z.B. im Rahmen der eigenverantwortlichen Schule) gehören, zählen zur Selbstreflexion alle Methoden und Techniken der fach- oder schulbezogenen Evaluation.
Diese sind zumeist weniger verbreitet und halten erst langsam Einzug als elementarer Bestandteil von Schulentwicklung.
Nach wie vor ist ein Grund für diese verzögerte Entwicklung einer Evaluations- und Feedbackkultur darin zu sehen, dass Lehrerarbeit traditionell unter der Bedingung der Autonomie stattfindet. Nach Rolff begreifen Lehrpersonen ihre Arbeit „eher in Kategorien wie ‚Ich und meine Klasse‘ oder ‚Ich und mein Fach‘ als im Sinne von ‚Wir und unsere Schule‘. […] Qualität von Schule bestimmt sich deshalb eher additiv, sie besteht aus der Summe der Lehrerarbeit, weniger aus der Synergie der ganzen Schule.“. Das führt für Rolff letztlich zu der Erkenntnis, „dass derart unstrukturierte Lehrerkollegien nicht geeignet [seien], Probleme zu identifizieren und selbständig zu lösen, da Kommunikation über berufsrelevante Fragen vorwiegend im informellen Raum statt[finde].“ (Rolff 2016, S. 108 ff.).
Feedback- und Evaluation in der Schule sind dann häufig Einzelaktivitäten, die nicht zusammengeführt werden – oder aber „von oben“ verordnete Maßnahmen, die wenig Niederschlag im Unterricht der einzelnen Klasse oder in konkreter Schulentwicklung finden.
Doch wie lassen sich Feedback und Evaluation für das Lernen der Schülerinnen und Schüler, für die Zusammenarbeit in Unterrichtsteams und damit für das Lernen der Schule zielführend nutzen?
Vielleicht ist zunächst eine begriffliche Präzisierung sinnvoll, um Feedback und Evaluation im Hinblick auf ihren Zweck, ihre Form und Inhalte abzugrenzen. Dazu habe ich mit Gerold Brägger, dem Gründer und Leiter der Schulentwicklungs- und Selbstevaluations-Plattform IQES online, einen ausgewiesenen Experten in diesem Bereich und zusammen mit Prof. Dr. Hans-Günter Rolff (aktuelles Interview in Einfach.Digital.Lernen) Co-Herausgeber des Standardwerks „Handbuch Lernen mit digitalen Medien“ (Beltz) befragt.

Gerold Brägger
Erziehungswissenschafter, Autor, Schul- und Organisationsberater, ausgebildeter Feldenkrais-Lehrer, Gesellschafter und Geschäftsführer von schulentwicklung.ch GmbH und IQES GmbH in Winterthur. Arbeitsschwerpunkte: Beratung von Schulen und Gemeinden, Qualitätsentwicklung von Bildungsregionen und Netzwerken, Leitung von Weiterbildungen (Unterrichtsentwicklung, Teamentwicklung, Evaluation, unterrichtszentriertes Qualitätsmanagement, kompetenzorientierter Unterricht und selbstkompetentes Lernen).
Interview mit Gerold Brägger, MA: Feedback und Evaluation für Unterrichtsentwicklung und Lernen nutzen
In der Schulpraxis werden die beiden Begriffe Feedback und Evaluation häufig synonym verwendet, dabei beziehen sie sich ja auf ganz unterschiedliche Aspekte, oder?
Ja, ein wichtiger Hinweis. Feedback bezieht sich auf Personen, Evaluation auf eine institutionelle Praxis. Diese Unterscheidung hat Folgen für die Absichten und Rollen, die mit Feedbacks bzw. Evaluationen verbunden sind. In der Schulpraxis kann das schnell verschwimmen.
Vielleicht kurz zur Präzisierung:
Evaluation: Evaluation meint das systematische Erfassen und Bewerten einer institutionellen Praxis. Dabei werden z.B. Befragungen, Unterrichtsbeobachtungen, Gespräch und Interviews eingesetzt. Damit werden die Sichtweisen verschiedener anspruchsberechtigter Schulpartner (Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, Erziehungsberechtigte, Behörden, Ehemalige etc.) erhoben. Ergebnisse einer Evaluation sind ein schriftlicher Bericht und ein darauf sich beziehender Maßnahmenplan, in dem Schlussfolgerungen aus den erhobenen Daten und Qualitätsbeurteilungen gezogen werden.
Feedback: Feedback bezieht sich auf die individuelle Praxis einer Lehr- oder Leitungsperson. Die einzelne Lehrperson kann Feedbacks nutzen, um das eigene Berufswissen zu erweitern, Probleme besser zu verstehen und das individuelle Handeln zu optimieren.
Inwiefern unterscheiden sich dann Feedback und Evaluation genau, lässt sich das noch weiter ausdifferenzieren und präzisieren?
Feedback und Evaluation unterscheiden sich im Hinblick auf ihren Zweck, Form und Inhalte. In einer tabellarischen Übersicht habe ich für den Sammelband „Handbuch Lernen mit digitalen Medien“ die Unterschiede zwischen Feedback und Evaluation genauer dargestellt – diese Übersicht ist sicherlich sehr hilfreich, wenn auch begrifflich präzise gearbeitet werden soll.

Wie lassen sich Feedback und Evaluation, die nicht für sich selbst stehen, sondern im Rahmen der Schulentwicklung wirksam werden sollen, in den Dienst einer lernenden Schule stellen?
Nach unserem Verständnis bringen Feedback und Evaluation dann konkreten Nutzen, wenn sie in eine Feedback- und Evaluationskultur eingebettet sind, in der das gemeinsame Lernen aller (Schulleitung, Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler) im Alltag gelebt wird.
Orientiert man sich an der Herkunft des Wortes (Evaluation: frz. zu évaluer „abschätzen“, „berechnen“; lat. valere „stark sein“, „wert sein“), so wird deutlich, dass Evaluation etwas mit „Wert schätzen“ zu tun hat, den Wert, die „Stärke“ eines Produktes oder Prozesses anhand von nachvollziehbaren Kriterien einzuschätzen. Evaluation ist ein schulinternes Werkzeug, mit dem der Wert (einer Aktivität, eines Projektes, einer Struktur usw.) nicht nur erfasst wird, sondern auch verstanden werden kann, wie dieser entsteht und wie er sich weiterentwickeln lässt. Ein solches Verständnis setzt eine bestimmte Grundhaltung (Kultur) innerhalb der Schule voraus, die durch dazu passende Strukturen und Strategien unterstützt wird.
Das haben wir bei IQES in den „Merkmalen einer lernenden Schule“ zusammengefasst:
Eine Kultur, in der Werte gegenseitiger Unterstützung und persönlicher Verantwortungsübernahme geschätzt werden, lebt von einer „wertschätzenden“ Grundhaltung in der Gestaltung der Beziehungen. Eine solche zeigt sich sowohl beim individuellen Feedback (in der Interaktion zwischen den Personen) wie auch bei der Evaluation auf Team- und Schulebene.
Die Bedeutung der Grundhaltung (Kultur) einer Schulgemeinschaft ist angesichts der aktuellen Herausforderungen und des Entwicklungsdrucks, dem sich Schulen ausgesetzt sehen, von größter Bedeutung. Doch wie lässt sich eine funktionierende Feedback- und Evaluationskultur für Schulentwicklung nutzen?
Vielleicht sollte zunächst klargestellt werden, dass Selbstevaluation keine systematisch organisierte Schulentwicklung ersetzt, sie ist ein notwendiges Werkzeug. Schulentwicklung nutzt unterschiedliche Werkzeuge, insbesondere
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- eine gemeinsame verbindliche und verbindende Vorstellung von Schule,
- systematisch organisierte Formen des gemeinsamen Lernens (Teamlernen, Prüfung mentaler Modelle, kooperative Unterrichtsentwicklung),
- eine zielgeführte Planung von Entwicklungsprozessen auf Ebene der Personen als auch der Strukturen sowie
- die Organisation von Rückmeldungen auf Individual- und Systemebene.
Selbstevaluation als Instrument ist immer einem dieser „Schulentwicklungswerkzeuge“ zugeordnet. Sie dient vor allem der Optimierung der jeweiligen Prozesse, aber auch der Entscheidung darüber, in welche Entwicklungsprozesse mehr oder weniger Zeit und Energie investiert werden soll.
Eine partizipativ angelegte Evaluation kann mehr leisten als die Steuerung und Optimierung der oben beschriebenen Prozesse. Gerade eine gut geplante Evaluation kann die Brücke schlagen zwischen der „pädagogischen Qualität“ und Verinnerlichung der Qualitätsziele und Werteorientierungen der Schule auf Seiten der Lehrpersonen, da sie
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- die Frage nach den eigenen (und fremdgesetzten) Ansprüchen stellt, über die man erst sinnvoll sprechen kann, wenn die „mentalen Modelle“ von Schule, Bildung, Unterricht, Lernen, Rolle usw. geklärt sind.
- die notwendigen Ressourcen (Fähigkeiten und Fertigkeiten, Rahmenbedingungen) in den Blick nimmt.
- den Nutzen und die Bedeutsamkeit der zu evaluierenden (Entwicklungs-)Prozesse klärt.
Welche Funktionen erfüllt dann – ganz kurz und knapp gefasst – interne Evaluation als Werkzeug der Schulentwicklung?
Am deutlichsten lassen sich drei Funktionen nennen, die einer internen Evaluation zukommen:
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- Steuerung, Beteiligung und Planung von Entwicklungsprozessen
- Lernende Praxis und pädagogischer Erkenntnisgewinn
- Rechenschaftslegung
Diese drei grundlegenden Funktionen können auf allen drei Handlungsebenen von Schule wahrgenommen werden:
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- Auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler, die Feedback und Lerndialoge brauchen, um mit den Zielen des Unterrichts und ihres Lernens vollständig vertraut zu werden, um zu verstehen, wie gut sie vorankommen und was ihre nächsten Schritte sind.
- Auf der Ebene der Lehrpersonen können Feedbacks dafür genutzt werden, um das eigene Berufswissen zu erweitern, Probleme besser zu verstehen und das individuelle Handeln zu verbessern.
- Auf der Ebene der Schulleitung und Schule kann Evaluation genutzt werden, um die Wirkungen der gemeinsamen Arbeit auf die Lernenden, auf die Lehr- und Betreuungspersonen sowie auf die Schule und nach außen einschätzen und beurteilen zu können.
Vielen Dank, Gerold Brägger, für diese genauere Einordnung und die hilfreichen Präzisierungen an entscheidenden Stellen !
Feedback und Evaluation digital – Tools und Plattformen
Für Feedback und Evaluation auf allen Handlungsebenen von Lehren und Lernen stehen zahlreiche einfach nutzbare Tools zur Verfügung. Diese stelle ich in einem Blogbeitrag zum Thema „Feedback digital – Feedback in einer Kultur der Digitalität“ genauer vor und ordne sie in die didaktische Planung von Blended Learning ein.
Soll aber die schulinterne Evaluation fokussiert werden, ist zunächst wichtig: Für unterschiedliche Evaluationsformen benötigen Schulen einen ganzen Werkzeugkasten an digitalen Evaluationsinstrumenten, die sich entsprechend der Ziele und Zwecke des jeweiligen Evaluationsprojekts auswählen und anpassen lassen.
– Ende Teil I –
– Ausblick Teil II –
Doch welche Plattformen und Tools stehen zur Verfügung? Nach der begrifflichen Einführung in diesem Blogbeitrag soll im folgenden Beitrag in den nächsten Wochen ein kurzer Überblick über einige funktional auf Schulbedürfnisse abgestimmte Plattformen und Tools, mit denen sich schulinterne Evaluation auf allen Handlungsebenen umsetzen lässt, Unterstützung bieten.
Hier werden dann sowohl kleinere Feedback-Tools als auch komplexere Evaluationsplattformen berücksichtigt, sodass ein Gesamtüberblick entsteht, aus dem heraus dann die passenden Plattformen genauer in den Blick genommen werden können.