Unter den Bedingungen der Digitalität verändern sich Lehr- und Lernprozesse im Geschichtsunterricht. Unterrichtsentwicklung im Rahmen von Schulentwicklung gehört daher zu den wohl wichtigsten, aber auch häufig mit Vorbehalten und Schwierigkeiten verbundenen Vorhaben. Dabei ist die Integration digitaler Medien in den Unterricht – ob in 1:1-Konzepten oder anlassbezogen – niedrigschwellig umsetzbar. Genauso kann sich der Unterricht dann grundlegend oder punktuell verändern.

Status quo – die Ausgangslage im Geschichtsunterricht

Ein Blick auf die Ausgangslage im Geschichtsunterricht verdeutlicht das Entwicklungspotential dieses Faches unter den neuen Rahmenbedingungen:

Seit den Siebzigerjahren steht die Arbeit mit Quellen als Zeugnisse ihrer Zeit im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts. Mit ihrer Hilfe können sich Historiker ein Bild von der Vergangenheit machen. Die Grundstruktur üblichen Geschichtsunterrichts ist daher meist „[…] an den Gang einer historischen Untersuchung, wie sie der Wissenschaftler vornimmt“[1] angelehnt. Werden im Geschichtsunterricht historische Untersuchungsprozesse angestoßen, sollen die Schülerinnen und Schüler in diesem Sinne bei der fachspezifischen Erkenntnisgewinnung quellenbasiert zu eigener Urteilsbildung angeregt, zu Selbsttätigkeit und eigenem Denken motiviert werden sowie die Vergangenheit anschaulich aus erster Hand erleben. Dominierten zunächst Textquellen in Printform, so hat sich mit der Bandbreite eingesetzter Quellengattungen und einsetzbarer Medien auch der im Geschichtsunterricht verfügbare und verwendete Medienmix vergrößert. Da sich nach Bernsen „[…] historisches Lernen immer an Medien vollzieht und den kritischen Umgang mit Medien fördert […]“, kann der Geschichtsunterricht zum „[…] Leitfach einer breit verstandenen, historisch orientierten Medienbildung an Schulen werden“[2] – eine entsprechende Aufnahme medienpädagogischer Zielsetzungen vorausgesetzt.[3]

Spezifika des Faches Geschichte

Zugleich ist die Erarbeitung historischer Zusammenhänge angesichts umfassender und komplexer Sachverhalte, Strukturen und Prozesse von einer hohen Text- und Informationsdichte geprägt. Die Rekonstruktion historischer Einsichten aus Zeugnissen und Materialien der Vergangenheit – und damit die Förderung historischen Denkens – stellt eine ganz eigene Kernaufgabe des Geschichtsunterrichts dar. Vor dem Hintergrund heterogener Lerngruppen rücken daher zunehmend Fragen nach Differenzierung und individuelleren Zugängen und Lernwegen in den Fokus.

Neben der Erarbeitung ist die Ergebnissicherung eine zentrale Phase des Geschichtsunterrichts und elementar für das Umwälzen unterrichtlicher Inhalte und deren Verständnis. Alle fachdidaktischen Übersichten betonen die Bedeutung von Wiederholung und Übung in diesem Sinne – mit dem Ziel der Festigung, Konsolidierung, Vertiefung und dem Transfer des Gelernten. In der Regel wird klassischerweise eine Fixierung per Hefteintrag, Tafelbild oder Hausaufgaben vorgeschlagen.

Vom lehrerzentrierten zum schülerorientierten Geschichtsunterricht

Doch mit der Verbreitung kooperativer Lernformen, vor allem aber im digital gestützten Unterricht, ist auch hier eine deutliche Entwicklung zu beobachten und die Präsentation selbstständig erarbeiteter Ergebnisse gewinnt an neuer Bedeutung.

Trotz aller fachdidaktischen Entwicklungen der letzten Jahre ist zu konstatieren: Die von Horst Gies herausgearbeiteten Strukturelemente des Geschichtsunterrichts – Erschließung, Erarbeitung, Festigung – bilden nach wie vor den Rahmen für schulische Lehr-Lernprozesse im Fach Geschichte.[4] Zentral ist aber die Entwicklung…

  • von einem lehrerzentrierten hin zu einem deutlich schülerorientierten Geschichtsunterricht,
  • von einem linear durch die Lehrperson angelegten und gesteuerten Lernprozess hin zu selbstgesteuerten offeneren Lernformen,
  • vom Arbeiten in den engen Grenzen des Klassenraums hin zu projektorientierten (fächerübergreifenden und fächerverbindenden) Vorgehensweisen,
  • die vor allem dank digitaler Arbeitsformen übliche räumliche Begrenzungen obsolet machen und damit auch auf die räumliche Gestaltung von Schulen Einfluss nehmen (weiterführender Beitrag hierzu von Jan Vedder „…Vom Lehrraum zum Lernraum“).
Unterrichtsentwicklung im Geschichtsunterricht mit digitalen Medien - Veränderungen unter den Bedingungen der Digitalität 1
Digitale Bildung? Zeitgemäßes Lernen? Digitalisierung und Schülerorientierung falsch verstanden: Tradierte Prinzipien mit neuen Medien. (Pixabay)

Allerdings scheinen auch die spätestens seit PISA omnipräsenten Forderungen nach Standardisierung und abtestbaren Kompetenzen häufig im Widerspruch zu einem schülerorientierten, aktivierenden und differenzierenden Unterricht zu stehen. Lehrkräfte behelfen sich in dieser Situation mit einem Methodeneklektizismus, der diese Diskrepanz verringert und die unbefriedigende Situation erleichtert.

Doch die Ausgangslage hat sich mit dem beschleunigten gesellschaftlich-technologischen Wandel verändert: Wenn der von manchen erhoffte Paradigmenwechsel im Geschichtsunterricht auch bislang ausgeblieben ist, so ermöglicht die Digitalisierung in den Schulen doch neue und andere Aktivitäten, mit denen bestimmte Prinzipien bisher üblicher (bewährter) Methoden anders und vielleicht auch besser umgesetzt werden können.

Schülerorientierung, Aktivierung, Motivierung als Merkmale erfolgreicher Lehr-Lernprozesse

Daher vermischen sich zunehmend fachdidaktische und pädagogische Fragestellungen, wenn unter den Bedingungen der Digitalität neben Strukturiertheit, Aktivierung, Fokussierung und Motivierung vor allem Schülerorientierung, in der Fachdidaktik häufig als „Passung“ verstanden, als Merkmal erfolgreicher Lehr- und Lernprozesse und damit von Unterrichtsqualität in den Vordergrund rückt.

  • Ein Unterricht, der bei der Auswahl der Lernziele, Lerninhalte und möglichen Lernwege die Interessen und Erfahrungen der Schüler konsequent berücksichtigt und ihnen Raum zur Äußerung eigener Gedanken und Meinungen bietet, wird nachhaltigeres Lernen fördern – nach Helmke auch eine höhere Lernbereitschaft und damit Effektivität des Lehr-Lernprozesses.[5]
  • Die Wahl des Arbeitsmediums spielt dabei eine entscheidende Rolle, sind doch beispielsweise mit der Nutzung von Tablets gänzlich neue Lernwege und damit Unterrichtsziele möglich, die bisher undenkbar waren. Das Medium ist also eben nicht nur ein einfaches Werkzeug zum Erreichen bisher üblicher Lernziele, sondern verändert mit den neu sich bietenden Möglichkeiten auch die Lernziele von Unterricht an sich.

Der Mehrwert digitaler Medien besteht daher keinesfalls darin, alte Ziele schneller, einfacher, besser, nachhaltiger etc. zu erreichen. Ihr Wert besteht vielmehr darin, als konstituierende Formen die Zieldimensionen des Unterrichts signifikant zu erweitern. Für diese entscheidenden Zusammenhänge bleibt man blind, wenn man Unterricht (implizit oder explizit) auf der Grundlage des Werkzeug-Medienbegriffs plant.

Axel Krommer: Wider den Mehrwert! Oder: Argumente gegen einen überflüssigen Begriff

Diese Feststellungen gelten natürlich für alle Fächer und sind nicht neu, angesichts höchst heterogener Kollegien und Fachgruppen dennoch keineswegs als selbstverständlich anzusehen. Zwei Perspektiven durchziehen daher die hier und in diesem Blog immer wieder dargestellten Konzepte: Die Planung stufenweiser Unterrichtsentwicklung durch Lehrkräfte sowie das Prinzip konsequenter Schülerorientierung bei dem Einsatz digitaler Medien im Geschichtsunterricht.

Unterrichtsentwicklung unter den Bedingungen der Digitalität

Alle Initiativen sollten der grundlegenden Einsicht folgen, dass Digitalisierung nicht in einem Schritt den Geschichtsunterricht radikal verändern muss, sondern dass Anteile digital gestützten Lernens und Arbeitens – und mit ihnen der Einbezug neuer Kompetenzen – schrittweise und behutsam erhöht werden.

Leitmedienwechsel – neue Bedingungen im Geschichtsunterricht

Unter den Bedingungen der Digitalität und mittels der neuen Medien verändert sich das Lernen und Lehren im Geschichtsunterricht in drei zentralen Bereichen:

  1. Die Zugänge zu Wissen und Informationen sind nicht mehr auf zentral vorgegebene, von den Lehrkräften ausgewählte Medien und Inhalte beschränkt.
  2. Der Leitmedienwechsel von der Buchdruck- zur Informationsgesellschaft schafft neue Möglichkeiten der Vermittlung und Aneignung von Wissen.
  3. Zugleich bieten sich ganz neue Möglichkeiten der Kommunikation und Präsentation von Wissen.

Inwieweit die neu verfügbaren Medien historisches Lernen ermöglichen, wird damit zu einer wichtigen Reflexionsfrage bei der Planung und Gestaltung von Lernprozessen. In diesem Kontext unterscheidet Bernsen ähnlich wie Honegger drei wesentliche Grundmodi, die eine unterrichtsbezogene, reflektierte Strukturierung von Medien historischen Lernens ermöglichen, aber nicht trennscharf zu verstehen sind.

Unterrichtsentwicklung im Geschichtsunterricht mit digitalen Medien - Veränderungen unter den Bedingungen der Digitalität 2
Unterrichtsbezogene Strukturierung von Medien historischen Lernens[6]

Unterrichtsentwicklung – neue Kompetenzen als Triebkräfte

Vor diesem Hintergrund kann sich die Planung von Geschichtsunterricht neben geschichtsdidaktischen, methodischen und pädagogischen Überlegungen im Rahmen behutsamer Unterrichtsentwicklung an folgenden, die üblichen Unterrichtsprinzipien ergänzenden Kriterien orientieren:

  1. Förderung selbstständigen und selbstbestimmten Arbeitens der Schülerinnen und Schüler
  2. Förderung kreativer Lösungsansätze
  3. Förderung von Kollaboration und Kommunikation
  4. Förderung differenzierter Lernangebote
  5. Selbstreflexion / Schülerfeedback (Prozess- und Ergebnisbezogen)
  6. Konzept für Lehrerfeedback

Deutlich wird, dass weniger die originär geschichtsdidaktischen als vielmehr neue Kompetenzen Treiber der Unterrichtsentwicklung sind. Diese ergänzenden, vor allem medienpädagogisch motivierten Kompetenzen werden übersichtlich in dem 4K-Modell gebündelt. Dieses Modell, das sich in Teilen mit dem Kompetenzmodell „6 Kompetenzen in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz[7] deckt, veranschaulicht Kompetenzen, die aus Sicht der Verfasser im 21. Jahrhundert an Bedeutung gewinnen.

Unterrichtsentwicklung im Geschichtsunterricht mit digitalen Medien - Veränderungen unter den Bedingungen der Digitalität 3
Das 4K-Model in einem Vorschlag von Jöran Muuß-Merholz: Kompetenzen in einer (digitalisierten) Welt im Wandel[8]

Kurzfazit: Öffnung von Unterricht und neue Formen der Instruktion

Ein Geschichtsunterricht, der sich an den bis hierhin skizzierten Entwicklungsansätzen orientiert, wird sich in den zwei für Unterrichtsplanung grundlegenden Handlungsfeldern – Konstruktion und Instruktion – fundamental verändern. Auf methodischer Ebene ergeben sich daraus zwei pragmatische Erkenntnisse:

  • Die Unterrichtsentwicklung allein auf die zunehmende Öffnung von Lehr- und Lernprozessen zu beschränken, würde die Perspektive einseitig verengen. In diesem Blog werden daher auch neue, schülerorientierte Möglichkeiten der Instruktion und lehrerseitigen Unterrichtsdurchführung im Geschichtsunterricht vorgestellt. Mentimeter und Wooclap sind nur zwei Tools, mit denen sich beispielsweise ganz neue Formen der Schüler-Lehrer-Interaktion in den Unterricht integrieren lassen. So bleiben Mischformen von Instruktion und Konstruktion – analog zu derzeitigen lernpsychologischen Erkenntnissen – mit dem Ziel ausgewogener Lehr-Lern-Prozesse auch unter den neuen Bedingungen digitalen Arbeitens im Fokus.

[1] Sauer, Michael: Geschichte unterrichten, S. 96.

[2] Bernsen, Daniel (2018): Ideen Digitale Medien. Geschichte, S. 5.

[3] Vgl. Bernsen, Daniel: Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter, S. 17.

[4] Vgl. Gies, Horst (2004): Geschichtsunterricht. Ein Handbuch zur Unterrichtsplanung, S. 205.

[5] Vgl. Helmke, Andreas (2014): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, S. 168 ff.

[6] Vgl. Bernsen, Daniel: Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter, S. 39.

[7] Übersicht des Klett Verlags: https://www.klett.de/inhalt/sixcms/media.php/145/KMK_Kompetenzrahmen.pdf [01.01.2020].

[8] Vgl. https://www.joeran.de/die-4k-skills-was-meint-kreativitaet-kritisches-denken-kollaboration-kommunikation/ [01.01.2020].

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